Leidensfähig bis trinkfest: Moskaus Botschafter in Deutschland

Seit 2010 ist Wladimir Grinin russischer Botschafter in Berlin. Nun soll er laut Medienberichten abgelöst werden. Die MDZ stellt aus diesem Anlass fünf russische und sowjetische Botschafter vor, die in die Geschichte eingingen.

Russische Botschaft

In stürmischen Zeiten Flagge zeigen – auch das zählt zu den Aufgaben der russischen Botschaft in Berlin./Foto: Pixabay

Zu gehen, wenn es am schönsten ist, dieses Glück ist Wladimir Grinin nicht beschieden. Seit den Krisen auf der Krim und in der Ostukraine musste der amtierende russische Botschafter in Berlin immer wieder Positionen verteidigen, die in Deutschland auf Kritik stießen. Vielleicht ein Trost: Auch für seine Vorgänger war es nicht einfach, Russland beziehungsweise die Sowjetunion in der Bundesrepublik zu vertreten.

Verzweifelter Pionier: Andrej Smirnow (1956–1966)

Wie man sich als sowjetischer Botschafter in der jungen Bundesrepublik fühlte, brachte Andrej Smirnow Anfang 1964 auf den Punkt. „Auf meinem Grabstein wird einmal die Inschrift stehen: Hier ruht der sowjetische Botschafter Andrej Smirnow. Sein Leben war umsonst. Er hatte es der deutsch-sowjetischen Freundschaft gewidmet.“ Gesagt haben soll er es im Freundeskreis, wie der „Spiegel“ damals schrieb.

Smirnow, geboren 1905 in Moskau, kam 1956 nach Bonn. Erst ein Jahr zuvor war Kanzler Konrad Adenauer in die Sowjetunion gereist, um über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu verhandeln. Doch der erste sowjetische Botschafter in der BRD, Smirnows Vorgänger Walerian Sorin, hatte es nach nur einem halben Jahr in Bonn angeblich schon nicht mehr ausgehalten.

Keine Vorleistung

Auch Smirnow hatte zu kämpfen. Im Jahr 1962 zum Beispiel. Als Adenauer ihm ein Stillhalteabkommen vorschlug, das später als „Burgfriedensplan“ bekannt wurde. Zehn Jahre sollten die Beziehungen stabilisiert und der Status quo beibehalten werden, so der Vorschlag. Danach sollten Fortschritte in der „deutschen Frage“ erzielt werden. Dafür forderte Adenauer mehr Freiheiten für die Bürger der DDR. Aber Smirnow lehnte ab. Eine solche Vorleistung kam für die Sowjetunion nicht in Frage.

Trotz widriger Umstände blieb Smirnow zehn Jahre in der Bundesrepublik, länger als alle seine Nachfolger. Und mindestens einen bis heute Früchte tragenden Erfolg könnte man auf seinem Grabstein ergänzen: Im März 1957 reiste er nach Hamburg, um eine Einladung aus Leningrad zu überreichen. Dort wünschte man sich eine Städtepartnerschaft mit der Hansestadt. Trotz Protest von Adenauer ließ sich der Hamburger Senat auf die Verbindung ein, deren 60-jähriges Bestehen dieses Jahr gefeiert wurde.

Moskaus Bahr: Walentin Falin (1971–1978)

Er sei eine „biegsame, aber unbeugsame Stahlfeder“, war über Walentin Falin 1972 in der „Zeit“ zu lesen. Erst ein Jahr vorher war er als Botschafter nach Bonn gekommen, wo er noch bis 1978 bleiben sollte. Damit erlebte der 1926 in Leningrad geborene Diplomat die wichtigsten Etappen der Entspannungspolitik nicht nur mit. Oft hatte er auch selbst seine Finger im Spiel. So etwa beim Moskauer Vertrag, der bereits unterzeichnet war, als Falin seinen Dienst antrat, aber noch nicht ratifiziert.

Innenpolitisch war der Vertrag in Westdeutschland umstritten. Kritik kam von der oppositionellen CDU/CSU-Fraktion, die vom „Ausverkauf deutscher Interessen“ sprach. Aber auch von Abgeordneten der sozialliberalen Koalition. Die Sowjetunion wollte den Vertrag unbedingt, der den Status quo in Europa sichern sollte. Zudem hoffte sie auf Hilfe aus der BRD bei der Erschließung von Öl- und Gasfeldern in Sibirien und war zu Zugeständnissen bereit.

Streben nach Wiedervereinigung

Hier trat der Botschafter als „Geburtshelfer der bundesdeutschen Ratifikation“ auf den Plan, wie Journalisten damals schrieben. Er half, den offiziell von Außenminister Walter Scheel unterzeichneten „Brief zur deutschen Einheit“ zu verfassen. Und er sorgte dafür, dass er in Moskau auch gelesen wurde.

In seinem Brief hatte Scheel festgestellt, dass der Moskauer Vertrag „dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“, nicht widerspreche. Der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko akzeptierte das Schreiben. Damit erkannte er an, dass Bonns Streben nach Wiedervereinigung durch Selbstbestimmung vertragskonform sei.

Falin galt damals als „Gromykos Egon Bahr“, als Drahtzieher hinter der Entspannungspolitik. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lebte er auf Einladung Bahrs einige Jahre in Hamburg. Dort arbeitete er für das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Heute lebt er wieder in Moskau.

Der Spaziergänger: Juli Kwizinski (1986–1990)

Gerade einmal 49 Jahre war Juli Kwizinski, als er 1986 als Botschafter nach Bonn kam. Dafür hatte er bereits eine erstaunliche Karriere hinter sich. Schon 1981 wurde er Chefunterhändler der Sowjetunion für die Genfer Abrüstungsverhandlungen. Das war einer der wichtigsten Posten, die ein Diplomat damals innehaben konnte. Mit dem fast 20 Jahre älteren Chef der amerikanischen Delegation Paul Nitze unternahm Kwizinski 1982 den berühmt gewordenen Waldspaziergang. Im Grünen versuchten beide, eine unkonventionelle Lösung für die festgefahrenen Genfer Verhandlungen zu finden.

In Bonn rügte er als Botschafter gleich nach seiner Ankunft im Frühjahr 1986 die BRD öffentlich, weil sie sich nicht genug für die Abrüstung engagiere. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl empörte er die Bevölkerung, indem er versicherte, dass die Lage unter Kontrolle sei. Und im Herbst seines ersten Jahres verglich Bundeskanzler Kohl den damaligen Generalsekretär Gorbatschow mit Goebbels, worauf der Botschafter entrüstet protestierte. Dann aber glätteten sich die Wogen, was Zeitgenossen vor allem Kwizinski zuschrieben. Nachdem er 1990 nach Moskau zurückgekehrt war, erlebte er dort als Erster Stellvertreter des Außenministers das Ende der Sowjetunion.

Honeckers Helfer: Wladislaw Terechow (1991–1997)

Es waren drei Tage im März 1991, in denen Wladislaw Terechow seinen Namen ins Buch der Geschichte schrieb. Drei Tage, die deutsche Zeitungen damals mit den Schlagworten zusammenfassten: Freiheit für Honecker, Souveränität für die Bundesrepublik. Terechow, geboren 1933 in Rostow am Don, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal ein Jahr im Amt. Doch mit seinem Gastland war er von früheren Stationen bestens vertraut.

So war er bereits an den Verhandlungen über den Zwei-plus-Vier-Vertrag beteiligt gewesen. Der garantierte Deutschland die volle Souveränität und regelte den Abzug der sowjetischen Truppen. Deutschland und die USA hatten ihn bereits ratifiziert, Großbritannien und Frankreich ebenso. Nur die Ratifizierungsurkunde der Sowjetunion fehlte, als Terechow an einem Mittwochmorgen im März das Kanzleramt anrief. Der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker werde in wenigen Stunden mit einer sowjetischen Militärmaschine aus der Bundesrepublik nach Moskau fliegen, sagte der Botschafter. Gab er der Regierung damit die Möglichkeit, die Flucht Honeckers vor der deutschen Justiz zu vereiteln?

So gut wie nie

Genutzt jedenfalls wurde sie nicht. Erst am Donnerstagabend bestellte die Bundesregierung Botschafter Terechow ins Kanzleramt ein, um offiziell zu protestieren. Honecker war zu diesem Zeitpunkt schon längst in Moskau gelandet. Allzu streng war man mit Terechow auch nicht. Der Vorgang werfe zwar einen Schatten auf die deutsch-sowjetischen Beziehungen, sagte der damalige Regierungssprecher Dieter Vogel. Doch Schatten würden sich in der Regel auch wieder verziehen.

Das zeigte sich schon einen Tag später, am 15. März, als Terechow sich im Auswärtigen Amt anmeldete, um die Ratifizierungsurkunde zum Zwei-plus-Vier-Vertrag zu übergeben. Als der Botschafter sechs Jahre später aus dem Amt ausschied, schrieb die „Welt“, er verlasse Deutschland „zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beziehungen beider Staaten so gut sind wie nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte“.

Der Partylöwe: Wladimir Kotenjow (2004–2010)

Sorgen wie Wladimir Kotenjow hätten seine Vorgänger und Nachfolger wohl gerne gehabt. Der „Berliner Zeitung“ sagte er im August 2007, gut drei Jahre nach Amtsantritt: „Immer wieder fragen mich Besucher: Herr Botschafter, wann schmeißen wir die Gläser an die Wand?“ Eine solche Wand gebe es in der Botschaft nicht, schob er hinterher. Ob das berühmte Lied von Dschinghis Khan gesungen wurde, ist nicht überliefert.

Gefeiert und getrunken wurde aber zur Genüge unter Kotenjows Regie. Allein in den ersten drei Jahren kamen angeblich 50 000 Gäste in die Botschaft. Und auch wenn sonst irgendwo in der Stadt ein Empfang oder eine Gala anstand, war Kotenjow meist dabei. So blieb er vor allem als „Party-Botschafter“ in Erinnerung, als er 2010 Geschäftsführer der Gazprom Germania wurde. In den Archiven findet sich noch eine andere Episode aus seiner Amtszeit. Im November 2006 sorgte er für Irritationen. Damals wurde der ehemalige Chef der DDR-Auslandsspionage Markus Wolf beerdigt. Kotenjow lobte ihn in einer Grabrede in höchsten Tönen. Deutschland habe „einen seiner bedeutenden Söhne und Russland einen seiner besten Freunde in Deutschland verloren“.


Sergej Netschajew: der nächste Botschafter

Offiziell bestätigt ist der Name Sergej Netschajew noch nicht. Doch mehrere russische Medien haben unter Berufung auf diplomatische Kreise bereits berichtet, dass er Ende des Jahres Russlands neuer Botschafter in Berlin werden soll. Geboren 1953 in Moskau, trat Netschajew in den Siebzigerjahren in den diplomatischen Dienst ein. Danach arbeitete er in der Botschaft der Sowjetunion in Ost-Berlin und in der Mongolei, in den Neunzigern war er in der russischen Botschaft in der Bundesrepublik beschäftigt. Später war er unter anderem Generalkonsul in Bonn und Botschafter in Österreich. Derzeit leitet er die Dritte Europäischen Abteilung des Außenministeriums. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur RIA Novosti sagte er im Dezember, Moskau sei an der Verbesserung der Beziehungen zu Berlin interessiert. Das müsse jedoch „gegenseitig, unter Berücksichtigung unserer prinzipiellen Interessen“ geschehen. Voraussetzung dafür seien Vertrauen, Gleichberechtigung und gegenseitiger Respekt.

Corinna Anton

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