Kalter Kaffee, heißer Sand. Wird es Ernst zwischen den USA und Russland?

Nachdem sich Russland und die USA im September auf einen Friedensplan für Syrien geeinigt hatten, folgte ein Rückschlag auf den anderen. Gibt Russlands Wirken in Aleppo wirklich hinreichend Anlass für eine reale Konfrontation mit dem Land oder auch nur für noch härtere Sanktionen?

Nachdem sich Russland und die USA im September auf einen Friedensplan für Syrien geeinigt hatten, folgte ein Rückschlag auf den anderen – vor Ort als auch auf der Bühne der internationalen Diplomatie. Immer schroffer wurden die Vorwürfe gegenüber Russland, von Kriegsgräuel in Aleppo bis zu Hacker-Angriffen auf die USA. Der Kreml seinerseits packte seine Retourkutsche in ein Gesetz, das die gemeinsame Vernichtung von Plutonium stoppte und dabei den Amerikanern unter die Nase rieb, was für Unverschämtheiten sie sich in den vergangenen 15 Jahren gegenüber Russland geleistet hätten.

Ist das nun der Kalte Krieg oder kalter Kaffee? Beide Seiten hätten ein Interesse an einem weltpolitischen Theater, beruhigten Beobachter. Als mildernder Umstand für die amerikanische Hysterie um Russland gilt der Ausnahmezustand, in dem sich das Land wegen der Präsidentenwahl befindet. Und dem Kreml wird seit Jahren nachgesagt, nach Außen den starken Mann zu mimen, um seine Schwäche im Inneren zu kompensieren. „Sie flüstern uns zu: Das geht vorbei und dann werden wir wieder Freunde“, sagte Wladimir Putin bei einem Wirtschaftsforum Mitte Oktober und meinte damit seine „Partner“ in den USA.

Und dann sind da noch die Bande der russischen Elite mit dem Westen: Die Villa an der Côte d’Azur, die Tochter in Harvard und die Frau an Wochenenden in New York. So lange das so sei, falle es schwer, an die Gefahr eines großen Kriegs zu glauben, meinte etwa der oft luzide Journalist Oleg Kaschin. Doch das Rad der Geschichte dreht sich zurzeit besonders schnell. Am Tag darauf meldete nämlich das meist gut informierte Portal Znak.com, dass der Kreml Beamten und Politikern dringend empfohlen habe, ihre Kinder von ausländischen Schulen und Universitäten umgehend heimzubringen.

Die Meldung einer Evakuation der Familien von Staatsbeamten wurde umgehend vom Kreml dementiert. Trotzdem besteht die Gefahr einer nicht zu kontrollierenden Gewaltspirale zwischen den USA und Russland im heißen syrischen Sand. Westliche Politiker und Medien recyceln zunehmend die Motive, mit denen sie 2011 ihren Angriff auf Libyen begründeten, nämlich um ein „Abschlachten der Zivilbevölkerung“ zu verhindern. Die Intervention von damals darf inzwischen als einer der Fehler westlicher Politik in der arabischen Welt gelten – zu diesem Schluss kam zuletzt das Unterhaus des britischen Parlaments. Dass nämlich tatsächlich eine akute Bedrohung der Zivilbevölkerung durch das Gaddafi-Regime bestanden habe, wie allseits behauptet wurde, habe nicht bestätigt werden können.

Im Falle Aleppo ist es empfehlenswert, noch vor einer möglichen Intervention gegen die syrisch-russische Allianz etwas genauer hinzuschauen: Gibt Russlands Wirken im Syrien-Krieg und speziell in Aleppo wirklich hinreichend Anlass für eine reale Konfrontation mit dem Land oder auch nur für noch härtere Sanktionen?

Entgegen dem Eindruck, den westliche Medien erwecken wollen, kann Putin gegenwärtig nicht eine Eskalation im syrischen Krieg oder gar ein „Genozid“ in Aleppo vorgeworfen werden. Seit dem Scheitern des russisch-amerikanischen Friedensplans am 19. September sind nach Zählung der sogenannten „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ mit Stand vom 12. Oktober 564 Menschen bei den Luftangriffen auf Ostaleppo ums Leben gekommen, also im Schnitt etwa 20 Opfer täglich. Diese Quelle aus London setzt sich vehement für ein Ende der Bombardierungen ein und steht daher nicht im Verdacht, absichtlich zu wenige Opfer zu zählen. Im gesamten syrischen Krieg sollen aber in fünf Jahren mehrere Hunderttausend Menschen gestorben sein – die Schätzungen reichen bis zu einer halben Million Opfer, also bis zu 270 Menschen täglich. Die bittere Wahrheit ist, dass das Sterben von Aleppo keine neue Qualität des dortigen Krieges darstellt.

Bojan Krstulovic

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