Allerlei Käse: Italienische Traditionen erobern ein russisches Dorf

Im Dorf Mednoje bei Twer macht ein rüstiger Italiener mit seiner russischen Frau seit fast 20 Jahren italienischen Käse nach Traditionsrezepten: Ricotta, Mozzarella, Parmesan & Co. Der Hof gilt als Vorbild in Sachen Bio-Landwirtschaft in der Region. Wohl vor allem dank seinem eigensinnigen Hausherren Pietro Mazza.

"Little Italy" heißt das Gut der Mazzas in Mednoje / Peggy Lohse

„Little Italy“ – „Kleines Italien“ – heißt das Gut der Mazzas in Mednoje / Peggy Lohse

„Ich fahr auf meiner alten Straße und lebe hier auf meiner kleinen Insel.” Der 67-jährige Italiener Pietro Mazza wohnt seit über 20 Jahren in Russland, allerdings günstig gelegen, an der Staatstrasse M11 zwischen Moskau und St. Petersburg. Über eine kurze Zwischenstation in Moskau kam er zufällig an das alte Lebensmittelwerk im Zweieinhalbtausend-Seelen-Dörfchen Mednoje etwa 200 Kilometer nordwestlich von Moskau im Twerer Gebiet.

Pietro und Gianna Mazza / Peggy Lohse

Pietro und Gianna Mazza / Peggy Lohse

Mitten in den wilden 90er Jahren, 1996, war Mazza zum ersten Mal zu Besuch in Russland und verliebte sich, wie er heute sagt, sofort in „die großen Distanzen ohne Menschen” und die „schöne Kälte“. Und er kam wieder. Und blieb. Um genau hier, wo Ende der 90er nichts von Infrastruktur zu erkennen war, mit seiner russischen Frau Gianna seinen großen Traum zu verwirklichen: einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb, der sämtliche Zutaten für die hauseigene Käserei – die ausschließlich nach der alten Tradition von Mazzas Vorfahren im süditalienischen Kalabrien arbeiten darf, das ist ihm besonders wichtig – liefert und später auch Bauernhoftouristen anziehen sollte. Das heutige Modewort Agrotourismus kannte da noch niemand. Aber Mazza störte das nicht, er gibt offensichtlich allgemein nicht sehr viel auf die Meinung anderer. Außer vielleicht auf die von Tochter Jessica, die 1999 im zarten Alter von sechs Jahren entschied, „Ja, die alte Fleischfabrik in Mednoje, die sollte es sein“.

Wachsen im Kleinen 

Und so kauften die Mazzas das Gelände. Für sich, ihren Käse, die Milchkühe, von denen sie erst einmal eine zum russischen Klima passende Art finden mussten, und für ihre Gäste. Nach zehn Jahren wurde der Platz zu eng: Kühe sollten es mehr als die bis dato vorhandenen 60 Tiere werden, außerdem wollten die Mazzas nun auch ihr eigenes Getreide, Gemüse und Tierfutter anbauen. 2009 kauften sie den ersten ehemaligen Kolchose-Betrieb, 2013 den noch immer aktuellen bei Torschok mit allein 500 Hektar für Getreide, das die Familie, ihre mittlerweile über 1000 Kühe und Hunderte Schafe ernährt.


„Wer sich mit Globalisierung befassen will, bitte. Aber ich arbeite nach den Traditionen meiner Vorfahren, die schon vor 180 Jahren so arbeiteten.”

Pietro Mazza


Insgesamt beschäftigt Mazzas „Kleines Italien”, so nennt sich der Betrieb, etwa 100 Menschen in der Region. Davon sind sechs Angestellte direkt in der Käserei in Mednoje beschäftigt, eine Handvoll noch im Restaurant- und Pensionsbetrieb. Außerdem kümmern sie sich um die Pferde, Strauße und Hunde auf dem kleinen russisch-italienischen Bauernhof rund um die Käserei.

Alles vom eigenen Hof 

Im Hauptsaal – liebevoll ausgestaltet mit Italien-Karten, Souvenirs, Weinflaschen und allerlei Dekoration aus der sonnigen Heimat –werden die Gäste verköstigt: wie im Restaurant nach Karte oder meistens als Käse- und Weinverkostung. Auf die Teller kommen hier Ricotta, Butirro, Burratina, Mozzarella, Caciotta, und Parmesanino – alles aus eigener Produktion. Die meisten Gäste kommen aus Moskau, erzählen die Mazzas, manche aus St. Petersburg, nur wenige aus der Region selbst. Manchmal Schulklassen, die allerdings intensiver beaufsichtigt werden müssen. Schon Erwachsene könnten manchmal nicht an sich halten und würden oft die Hygienevorschriften vergessen.

Die Workshops, bei denen Besucher selbst Käse machen können – eine Art Ricotta, also einen Frischkäse mit einer sehr kurzer Lagerzeit von nur wenigen Stunden – leitet Gianna Mazza selbst, ihr Mann ist mittlerweile fast blind. Und sie erzählt dabei den lauschenden und Käsemasse wendenden Teilnehmern, dass es durch den starken Preisverfall seit den 90ern praktisch keine echte Frischmilch mehr gebe.

Darum habe man sich auch einst für die eigenen Kühe entschieden. Weil aber das meiste Tierfutter schon von Anfang an mit Antibiotika versetzt sei, musste dann auch das selbst hergestellt werden. Denn Mazzas Käse – und sicher auch sein sympathischer, weil stets lächelnder Dickkopf – dulden keine Medikamente in Milch oder Fleisch. Für die Arbeit mit der Erde, ist Mazza überzeugt, brauche es viel mehr Köpfchen als Maschinen. „Besser jeden Tag mit den Mitarbeitern schimpfen, als Technik einzusetzen”, sagt er. Alles müsse immer sauber nach seinen alten Familienrezepten passieren, in Handarbeit und mit den richtigen Zutaten. Er ist ein überzeugter Konservativer: „Wer sich mit Globalisierung befassen will, bitte. Aber ich arbeite nach den Traditionen meiner Vorfahren, die schon vor 180 Jahren so arbeiteten”, sagt Mazza bestimmt und lächelt dabei verschmitzt.

Besser per Buschfunk

In Italien, so erzählt er, hätte er es mit seinem Konzept nicht weit bringen können. Die meisten Landwirte seien zur technisierten Massenproduktion übergegangen, die EU-Normen und -Subventionen schränkten den Agrarsektor mehr ein, als dass er ihm helfe. Und Mazzas Vorstellungen vom ökologischen und traditionellen Landbau gebe es zwar, die Nische aber sei schon jetzt besetzt. Leider auch von Großbauern. Alles nichts für ihn, sagt er.

Seine Frau nickt unterstützend mit dem Kopf und betont stolz ihre Erfolge. Unabhängig seien sie, ja irgendwie viel freier, als sie es in Italien sein könnten. Und ihre Käse-, Fleisch- und Getreideprodukte, die sie nun in Russland erzeugten, seien „sauberer“ als alle vergleichbaren Waren. Auch ohne Bio- oder Öko-Siegel.

Bei der letzten Jahrestagung der russischen Landwirtschaftsaufsichtsbehörde Rosselchosnadsor 2016 für die Gebiete Twer und Pskow ist das „Kleine Italien” dann auch als Vorbildbetrieb in Sachen ökologischer Landwirtschaft geprüft und präsentiert worden.

Massenproduktion lehnt Mazza dann auch kategorisch ab. „Es hat Angebote gegeben, von großen Supermärkten, meine Käse in großem Maßstab herzustellen”, erzählt der Hausherr. „Aber die habe ich alle abgelehnt.” Und seine Frau fügt hinzu: „Klassische Werbekampagnen machen wir auch nicht. Es ist viel besser, wenn die Menschen, die uns schon besucht haben, persönlich weitererzählen, was sie hier erlebt haben.” Besonders stark sei die Nachfrage in den Jahren 2007 und 2008 gewesen, „damals war jedes Wochenende und auch unter der Woche alles ausgebucht”. Aber seit Beginn der Krise hätten die Menschen wieder merklich weniger Geld, aktuell laufe es nicht so gut. „Vor allem der Fastenmonat war sehr lau”, erzählt Gianna Mazza. „Aber für den Sommer sind schon wieder Reservierungen da.”

Dieser aufgeweckte Zeitgenosse lebt auch auf der Italien-Farm in Mednoje. / Peggy Lohse

Dieser aufgeweckte Zeitgenosse lebt auch auf der Italien-Farm in Mednoje. / Peggy Lohse

Und auch Pferde gibt es. Reittouren werden auch angeboten, allerdings dann auf den erwachsenen Pferden. / Peggy Lohse

Und auch Pferde gibt es. Reittouren werden auch angeboten, allerdings dann auf den erwachsenen Tieren. / Peggy Lohse

Kleine Ausnahme 

Eine Kooperation gibt es dann seit etwa einem Jahr doch: mit dem Twerer Restaurantbesitzer Dmitrij Smirnow. „Mit ihm war ich gleich auf einer Wellenlänge”, sagt Pietro Mazza und zieht an seiner Zigarre. Zusammen wälzen er und Smirnow traditionelle Originalrezepte, alte Kochbücher und die Hausmittel der Vorfahren.

Was Mazza an der russischen Küche denn gefalle, fragt ein Gast. „Nichts“, sagt er grübelnd, „gar nichts. Aber letztens habe ich ein jahrhundertealtes Rezeptbuch entdeckt. Daraus, das kann ich mir vorstellen, könnte man etwas machen.“

Bislang werden Mazzas Lebensmittel nach italienischen Originalrezepten – russische sollen folgen – im „La Grotta” im Zentrum Twers verarbeitet und serviert. Im Mittelpunkt steht dabei natürlich, wie könnte es auch anders sein, der echte italienische Käse – direkt aus der russischen Provinz.

Text & Fotos: Peggy Lohse

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