Im Namen des Kommandanten

Mitte Juni feierte das Volksfest „Deutsch-Russischen Festtage“ im Berliner Osten sein Zehnjähriges, mit Schaschlik, Musik und Pferderennen. Bei einem davon wird traditionell dem sozusagen ersten Nachkriegsbürgermeister der Stadt gedacht: Sowjetgeneral Nikolaj Bersarin.

Von Georgia Lummert

Auf den Festtagen gibt es nicht nur Kwas und Schaschlik / DRF (Torsten Woitera)

Auf den Festtagen gibt es nicht nur Kwas und Schaschlik / DRF (Torsten Woitera)

Drei Tage lang stand auf dem Pferdesportgelände in Karlshorst im Osten Berlins alles im Zeichen der deutsch-russischen Freundschaft. Anwohner und die große russische Community Berlins trafen sich bei Bratwurst, Schaschlik und Pelmeni, neben Bier gab es stilecht auch Kwas vom Fass. Für Unterhaltung sorgten neben Karussels, Hüpfburgen und Torwandschießen Auftritte verschiedener lokaler Tanz­ensembles, aber auch Musikgrößen wie die Petersburger Rocker von Animal Jazz und die Sängerin Zara, die Anfang des Jahres vor russischen Truppen in Syrien auftrat.
Die Trabrennbahn, die auf eine über 120-jährige Geschichte zurückblickt, diente jedoch nicht nur als Kulisse für die 10. Deutsch-Russischen Festtage. An ihrem zweiten Tag herrschte reger Rennbetrieb. Unter den insgesamt neun abgehaltenen Pferderennen war auch das traditionelle Nikolaj-Bersarin-Rennen. Der sowjetische Generaloberst Nikolaj Erastowitsch Bersarin hatte zu Ende des Zweiten Weltkriegs einen kurzen, aber prägenden Auftritt in der deutschen Hauptstadt. Am 29. April 1945 war der 41-Jährige zum Kommandanten der Stadt ernannt worden, die er zuvor gemeinsam mit Marschall Georgij Schukow von Osten kommend erobert und von den Nazis befreit hatte.
In den knapp sechs Wochen seiner Amtszeit brachte der resolute Russe wieder etwas Normalität in die Lage in der kriegsgebeutelten Stadt: So wurden ihre Bewohner mit Nahrung versorgt, der öffentliche Nahverkehr nahm seine Arbeit auf und Schulen öffneten. Doch Bersarin bleibt in der Stadt, deren Ehrenbürger er ist, eine umstrittene Figur, weil er unter Stalin Karriere gemacht hat. Ein nach ihm benannter Platz im Berliner Bezirk Friedrichshain erinnert heute noch an ihn. Fragt man junge Berliner danach, wer dieser Bersarin denn sei, kennen jedoch nur die wenigsten die Antwort.
Auch die Besucher der Trabrennbahn, die sich im überdachten Wettbüro, auf der weiträumigen Tribüne und am Absperrgitter vor der 800 Meter langen Rennbahn versammeln, scheinen eher aus Neugier oder Rennbegeisterung erschienen zu sein, als um des Stadtkommandanten zu gedenken. Bersarin, das sei wohl irgendein wichtiger Russe gewesen, wahrscheinlich habe er etwas mit dem Krieg und der sowjetischen Besatzungszone zu tun, vermutet eine Gruppe von Freunden, die sich mit ihrem Bier vor der prallen Sonne auf die schattige Tribüne geflüchtet hat. Wichtig sind ihnen jedoch vor allem die heutigen Rennen, bei denen die Männer mitwetten.
Es ist auch ein Verdienst Bersarins, dass die Rennbahn in Karlshorst in ihrer heutigen Form existiert. „Gleich nach dem Krieg hat der Stadtkommandant aus der Hindernisbahn die Trabrennbahn gemacht, die wir heute kennen“, erzählt Vergos Dimitrios, Geschäftsführer der Bahn. Im Unterschied zu Hindernisrennen sitzen die Jockeys hier nicht auf dem Pferd, sondern in kleinen Wagen, den sogenannten Sulkeys. Das erste Rennen nach dem Zweiten Weltkrieg fand bereits am 1. Juli 1945 statt. Der Kommandant konnte es jedoch nicht mehr miterleben: Er starb am 16. Juni bei einem Motorradunfall. Ohne seine Zustimmung wäre auch eine Wiederaufnahme des Rennbetriebs unmöglich gewesen – als Stadtkommandant hatte der Generaloberst faktisch diktatorische Befugnisse. Ausschlaggebend für die Bewilligung von Futterrationen für die verbliebenen Rennpferde war die Aussicht auf hohe Besucherzahlen und Wettumsätze, von denen die öffentliche Hand und somit auch der Wiederaufbau Berlins profitieren würden, informiert das Deutsch-Russische Museum in Karlshorst. Aber auch Bersarins eigene Sportbegeisterung könnte ihn bei seiner Entscheidung geleitet haben. Der Kommandant war mit großer Leidenschaft sportlich aktiv, als Schütze, Skiläufer, Motorradfahrer und eben auch Reiter.

Der Kopf der Gedenktafel am Bersarinplatz in Berlin / Wikimedia Commons

Der Kopf der Gedenktafel am Bersarinplatz in Berlin / Wikimedia Commons

Seitdem die Trabrennbahn Karlshorst, die um die Jahrtausendwende mit finanziellen Problemen und mangelndem öffentlichen Interesse am Pferdesport zu kämpfen hatte, vor elf Jahren vom Pferdesportpark Berlin-Karlshorst e.V. übernommen wurde, gedenkt man dieser für die Geschichte Berlins so wichtigen Person mit dem jährlich stattfindenden Rennen. 2016 war es zum zehnten Mal Teil der deutsch-russischen Festtage, der größten und publikumswirksamsten Veranstaltung auf dem Rennbahngelände. Die Veranstalter zählten über das Wochenende in diesem Jahr rund 130 000 Besucher.

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