Harun Farocki: Retrospektive für den Meister des Dokumentarfilms

Der Vietkong in Berlin: das Liebespaar Anna und Robert im Film „Etwas wird sichtbar“ /Film: Blick 17.

„Der Philosoph fragt: Was ist ein Mensch? Ich frage: Was ist ein Bild?“, sagt eine Stimme nüchtern aus dem Off im Film „Etwas wird sichtbar“ aus dem Jahr 1982. Bilder und Fernsehaufnahmen aus dem Vietnamkrieg werden mit einer Liebesgeschichte zwischen den Protagonisten Anna und Robert verwoben. Schwarz-weiß gehalten, analytisch erzählt, ist der Film eine Reminiszenz an Jean-Luc Godard. Man muss keine politischen Filme machen, sondern Filme politisch, heißt sein viel zitierter Satz.

Die Frage nach dem Bild ist zentral für das Werk von Harun Farocki. Ein Name, der für deutsche Ohren exotisch klingen mag. Der Regisseur, Filmkritiker und Medienwissenschaftler indischer Abstammung ist ein Philosoph der Bilder – eine Fremdbezeichnung, die er zwar „nicht so unterschrieben hätte, die aber im Grunde das zusammenfasst, wofür er sich zeitlebens interessierte“, meint Michael Baute. Er und Saskia Walker sind die Kuratoren des Filmfestivals „Blick 17“, das das Moskauer Goethe-Institut dem 2014 verstorbenen Filmemacher gewidmet hat.

Einer, der Bilder hinterfragte

Würde Harun Farocki noch leben, er hätte die Flut an medialen Bildern, die mit dem Syrien-Krieg und der Flüchtlingskrise hervorquellen, hinterfragt. Denn der Status der Bilder verändere sich ständig. „Bilder waren schon immer Bildpolitik“, betont Baute. Weil sie Macht inszenieren, repräsentieren und unser Weltbild prägen. „Die Frage, wie wir sehen, wie wir mit Bildern umgehen und sie einsetzen, ist ein absolut aktuelles Thema – weltweit, wie in Europa so auch in Russland“, bestätigt auch Astrid Wege, Leiterin der Kulturprogramme beim Goethe-Institut. „Weil dahinter eine politische und gesellschaftliche Frage steckt.“

Nichts anderes machte Harun Farocki, der 1944 in Nový Jičín (Neu Titschein) zur Welt kam, in seiner 50 Jahre langen Schaffensphase. Er beobachtete, sezierte, montierte. Ein Regisseur der Arbeit. Aspekte, die er ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte: Arbeitsroutinen, Simulationen und Rollenspiele. So auch im Film „Leben BRD“ von 1990. Der Dokumentarfilm zeigt Schauplätze wie Schulen, Behörden, Fortbildungseinrichtungen und Kliniken, an denen Menschen für den Ernstfall proben. Und den immer unübersichtlichen Alltag planbar machen wollen.

Auch im Film „Stillleben“ von 1997 geht es strenggenommen um Arbeitsprozesse. Fotografen und Assistenten wuseln um erlesenen Käse, teure Uhren und randvolle Biergläser herum, um sie mit großem Aufwand ins rechte Licht zu rücken. Farocki parallelisiert diesen Warenfetischismus mit Essays über die Stillleben-Malerei des 17. Jahrhunderts. Auch in „Ein Bild“ von 1983 ergründet der Filmemacher die Produktion eines Fotos für das Playboy-Magazin. Hier ist der weibliche Körper die Ware. Der mechanische Vorgang gleicht einer Entzauberung, denn die Sinnlichkeit ist abhanden gekommen. Anders als das Bild es scheinen lässt.

Ein Werbefotograf rückt im Film „Stillleben“ den Käse ins rechte Licht. /Foto: Blick 17.

Diese Analogien kommen ohne Verfremdung nicht aus. Ein zentraler Begriff bei Farocki, der von Brecht stammt. Sowohl seine Ästhetik als auch seine Theorie des epischen Theaters waren für ihn etwas genuin Filmisches, sagt Baute. „Der Punkt bei der Verfremdung ist: Das, was man für selbstverständlich sieht, ist nicht selbstverständlich.“

Auch im Blickpunkt: Russische Regisseure

„Ich bin Farocki in den 90er Jahren im Bereich der Bildenden Kunst begegnet. Ihn einem russischen Publikum zu zeigen, ist ein Wunsch, den ich seit 2014 hege, als ich nach Russland kam“, erklärt Wege. Nach dem Tod des Künstlers wurde die Idee erstmal hinten angestellt. „Normalerweise widmen wir das Blick-Festival einem Thema, setzen Schwerpunkte oder widmen kleine Werkschauen einem lebenden Regisseur.“

Deshalb lautete die Frage: Wie kann man Harun Farocki ohne seine Anwesenheit zeigen? Eine Herausforderung, die Michael Baute und Saskia Walker annahmen. Sie stellten den Film-Philosophen in unterschiedliche Resonanzräume und Kontexte. Und so gab es im Zentrum des Dokumentarfilms auch deutsche Filme von Regisseuren wie Christian Petzold zu sehen. Daneben kam die Tretjakow-Galerie als weiterer Partner des Festivals hinzu, um „das Spiel der imaginären Dialoge im russischen und sowjetischen Kontext fortzusetzen“, so Wege. Hier holte Walker, Kuratorin, Filmacherin und Übersetzerin, russisch-sowjetische Regisseure wie Wladimir Kobrin, Witalij Kanewskij oder Artawasd Peleschjan ins Programm.

Katharina Lindt

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: