Gott und die Welt

Ein Tag im Leben von: Mönch Serapion, 32, aus Russlands ältestem Kloster in der Kreisstadt Murom, 300 Kilometer östlich von Moskau

Andrej Woskobojnik ist ein junger Mann, aber er hat bereits den Ort für sich gefunden, an dem er alt werden möchte. Der gelernte Koch wurde vor einem Jahr zum Mönch, als Serapion lebt er heute im Verklärungskloster in der Provinzstadt Murom. Eine Entscheidung für immer: Der Weg führt dort zwar hinein, aber nicht wieder hinaus. Der MDZ hat Serapion von seinem Alltag erzählt. 

5.30

Wecken. Auf dem Gang unseres Wohngebäudes wird eine Glocke geläutet. Ich habe ein Einzelzimmer, was ein Zugeständnis ist, weil ich nicht nur Mönch, sondern auch Priester bin. Nach dem Aufstehen mache ich ein paar Übungen, um die Glieder zu lockern. Frühsport würde ich das nicht nennen. Sport stehe ich überhaupt skeptisch gegenüber, bei dem kann man sich nie sicher sein, was er mit den Hormonen anstellt. Auf das richtige Maß kommt es an, wie so oft im Leben.

6.00

Morgenandacht in der Fürbitte-Kirche. Als das Kloster zu Sowjetzeiten geschlossen war und der Armee unterstand, hatte man in ihr eine Turnhalle untergebracht. Heute ist die zweistöckige Kirche wieder von unseren Gebeten erfüllt. Sie sind wie die unserer Glaubensbrüder in Russland und anderen Ländern auch auf den Frieden in der Welt gerichtet. Das ist der Beitrag, den wir dazu leisten, und ein großer Trost für alle Notleidenden: Sie wissen, dass sie nicht allein sind.

7.00

Gottesdienst. Die Aufgaben wechseln. Mal ist man mit Lesen dran, mal mit Singen. Die Gottesdienste sind öffentlich, aber wir halten sie nicht für die Öffentlichkeit ab, sondern für uns selbst.

Wohnsitz der anderen Art: Mönch Serapion im Verklärungskloster zu Murom. / Tino Künzel -

Wohnsitz der anderen Art: Mönch Serapion im Verklärungskloster zu Murom. / Tino Künzel

9.30

Der Gottesdienst endet mit der Liturgie. Mir ist das alles schon vor langer Zeit in Fleisch und Blut übergegangen. Ich habe nach einer Ausbildung zum Koch fünf Jahre am Priesterseminar in Wladimir studiert und dann als Geistlicher in verschiedenen Kirchen erste Erfahrungen gesammelt, bis der Muromer Bischof Nil mich eingeladen hat, mich hier um das Pilgerwesen zu kümmern, wie ich das zuvor schon erfolgreich in Susdal getan hatte. Susdal war unter Gläubigen als Touristenhochburg auf dem „Goldenen Ring“ verschrien, deshalb wurde es vielfach gemieden. Dabei ist dieser kleine Ort mit den Namen von sage und schreibe 25 Kirchenheiligen verbunden. Ich habe da also Aufklärung betrieben und einiges in Bewegung gebracht.

10.00

Mönch zu sein, ist der noch vollkommenere Weg, meinen Glauben zu leben. Es heißt vor allem eins: zu arbeiten, in erster Linie an sich selbst. Aber daneben gibt es noch ganz praktische Arbeiten, die den Tag ausfüllen. Ich zum Beispiel erstelle die monatliche Zeitung unserer orthodoxen Diözese und bin außerdem verantwortlich für den Pilgerdienst. In der warmen Jahreszeit haben wir hier bis zu 100 Pilger am Tag, die in unserer Herberge übernachten können und die wir gern in der Klosteranlage herumführen. Dabei erfahren sie, dass die erste urkundliche Erwähnung des Klosters ins Jahr 1096 zurückreicht, was bedeutet: Kein Kloster in Russland ist älter.

12.00

Mittagessen. Die erste Mahlzeit des Tages. Gefrühstückt wird im Kloster nicht. Unser Frühstück ist das Gebet. Dafür ist der Mittagstisch nun reichlich. Unser Klostergarten steuert je nach Jahreszeit das Gemüse bei.

13.00

An Sonntagen leite ich eine Sonntagsschule für Erwachsene mit 20 Teilnehmern. Neulich, nach dem Treffen von Patriarch Kirill und Papst Franziskus, haben wir uns dort alle 30 Punkte ihrer Vereinbarung im Detail angeschaut. In den Medien wurde dazu ja viel Unsinn geschrieben. Wir sprechen auch darüber, wie sich die Kirche zu Ehe und Familie positioniert. Wenn die Rede darauf kommt, plädiere ich immer dafür, mit den Schwächen und Fehlern des Ehepartners leben zu lernen, anstatt ihn umerziehen zu wollen, weil man sich streitet, keine gemeinsame Sprache findet. Ich stelle die Frage: „Ihr habt euch doch so in ihn verliebt, wie er ist, wozu ihn dann ändern?“

14.00

Einmal pro Woche, immer montags, sitzen wir Klosterbrüder zusammen und beschäftigen uns bei einer Tasse Tee mit der Nachrichtenlage. Selbst wenn wir die Augen davor verschließen wollten, würde uns das nicht gelingen. Denn die Menschen bringen ihre Ängste und Sorgen mit, wenn sie das Kloster betreten, sie suchen nach Antworten.

16.00

Abendgottesdienst. So viel wir Zulauf von außerhalb haben, so wenig verspüre ich selbst das Bedürfnis, das Kloster zu verlassen. Wir sind ja mitten in der Stadt, ich hätte jederzeit die Gelegenheit dazu. Aber ich vermisse dieses frühere Leben nicht. Alle möglichen weltlichen Vergnügungen bedeuten mir nichts. Zum Tanzen bin ich nie gegangen. Gaststätten sind auch nicht mein Fall. Die Ehe? Eine Frau zu haben, ist eine große Herausforderung. Sie beansprucht Aufmerksamkeit, die ich ihr nicht geben könnte. Ich glaube, dass ich von meinem ganzen Naturell dafür geschaffen bin, allein zu leben.

17.30

Am Palmsonntag vor einem Jahr bin ich nach dem Abendgottesdienst zum Mönch geweiht worden. Das ist ein uraltes Ritual voller Gleichnisse und Geheimnisse, mit speziellen Gesängen, wunderschön. Danach bleibt man drei Tage allein in der Kirche zurück, wird sozusagen auf den Prüfstand gestellt. Man erhält auch einen neuen Namen, als Zeichen, dass man mit dem weltlichen Leben bricht. So wurde ich von Andrej Woskobojnik zu Serapion. Ein Zurück gibt es für mich nicht. Ich schaue nur nach vorn.

18.00

Abendessen. Die Mahlzeiten nehmen wir alle gemeinsam ein: In unserem Männerkloster sind wir Mönche momentan zu zehnt. Alles wird frisch zubereitet und ist so nahrhaft, dass wir nichts „zwischendurch“ brauchen. Denn wir verdienen ja kein Geld, von dem wir uns etwas kaufen könnten.

18.30

In unserer Bäckerei backen wir Prosphora, das Sauerteigbrot für die Messe. Weil das eine schwere Arbeit ist, packen alle gemeinschaftlich mit an.

20.00

Abendandacht. Danach kann jeder seinen persönlichen Interessen nachgehen. Ich bereite mich oft auf die Vorlesungen vor, die ich zweimal pro Woche an unserer Kirchenfachschule halte, der Vorstufe zum Priesterseminar.

23.00

Ich lege mich schlafen. Eine feste Nachtruhe haben wir nicht. Aber das Klosterleben strengt an, man merkt das an der Müdigkeit, die einen unweigerlich überkommt. Manchmal lese ich vorm Zubettgehen noch ein Buch. Meine Bibliothek ist mein größter Schatz. Es sind um die 300 Bücher, die in meinem Zimmer auf den Regalen stehen: Romane großer russischer Schriftsteller, Biografien, philosophische und Kirchenliteratur. Das ist das Einzige, was ich ins Kloster mitgebracht habe. Je weniger man besitzt, desto geringer sind die Versuchungen, die damit einhergehen. Und umso besser für das Seelenheil, nach dem wir alle streben.

Aufgeschrieben von Tino Künzel.

 

Ikone macht Wunder „ganz real“

Dass das Verklärungskloster seit 1995 wieder ein heiliger Ort ist und kein Militärgelände mehr wie zu Sowjetzeiten, führen die Mönche auch auf die „wundertätige“ Marienikone „Skoroposluschniza“ zurück, eine der wichtigsten Reliquien des Klosters. Ihr wird nachgesagt, dass sie von Leiden befreit, Kranke heilt und einem russischen Soldaten im Tschetschenienkrieg das Leben gerettet hat: Die Armee erklärte ihn für tot, doch er kam gesund nach Hause. „Manche mögen sagen, dass so etwas gar nicht sein kann. Aber viele überzeugen sich in Murom selbst davon: Wunder sind hier ganz real“, heißt es auf der Webseite des Klosters.

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