Ein junger Künstler am Rande des Wahnsinns

Die Welt scheint aus den Fugen zu sein. Zumindest für den gefragten Nachwuchskünstler Pasmur Rachuiko aus Rostow am Don. Er verarbeitet mediale Bilder in künstlerische Metapher. Seine Kunst spielt mit den Grenzen der Wirklichkeit, die absurd und irreal erscheint.

Der Nachwuchskünstler Pasmur Rachuiko gibt seinen Gemälden keine Titel. /Foto: Pasmur Rachuiko

Sichtlich verschwitzt kommt Pasmur Rachuiko in der Kreativ-Agentur SKSG an, die sich in den Gassen von Kitai-Gorod befindet. In seiner dunkelblauen Fischermütze, die die Ohren freilegt, Skinny-Jeans samt weißem Shirt, sieht der schlanke Mann eher unscheinbar aus. So, als komme er gerade von der Arbeit als Barista eines angesagten Cafés nach Hause. „Ich steckte im Stau“, entschuldigt er sich und nimmt vor seinem Kunstwerk Platz.

Pasmur Rachuiko ist ein gefragter russischer Nachwuchskünstler und Artist in Residence in der Galerie Gridchinhall, die sich malerisch in das Dorf Dmitrowskoje im Gebiet Moskau schmiegt. Der Sammler Sergej Gridsch schuf dieses Laboratorium der Künste, wie er es selbst bezeichnet, mit seiner Frau Swetlana. Hier bekommen junge Talente wie Ratschuiko die Möglichkeit, zwei Monate zu leben und sich voll und ganz ihrer Kunst zu widmen, ständig im Austausch mit anderen Künstlern, Kuratoren und Sammlern.

Aura der Bedeutsamkeit

In dieser Zeit entstand ein Triptychon – ein Gemälde, das aus drei Teilen besteht und eine Einheit bildet – für SKSG. Durchgang, heißt das Werk. Eine Hommage an die Unterführungen seiner Heimatstadt Rostow am Don, die mit keramischen Mosaiken im sozrealistischen Stil dekoriert sind. Sie zeigen den Alltag der Arbeiter, so wie es die sowjetische Regierung propagiert hat: fleißige Arbeiter, adrette Studenten und mutige Kosmonauten. Der Pathos des Sozrealismus ist heute Kitsch und Pop-Art. „Diese Stilrichtungen sind für das zeitgenössische Publikum zugänglicher. Das Eklektiszische passt zu unserer Zeit“, sagt der 30-Jährige. In diesem Stil bildete er Szenen aus dem russischen Alltag ab. Metaphorisch überhöht und mit Symbolik aufgeladen.

Das Triptychon „Durchgang“ von Pasmur Rachuiko /Foto: Pasmur Rachuiko

Die erste Bildtafel zeigt vor dem Discounter-Supermarkt „Diksi“ eine Reporterin im Nikab, fest umschlossen im Griff eines Polizisten. Über ihnen schwebt die Staatsmacht, repräsentiert durch den doppelköpfigen Adler. Eine Anspielung auf die Zensur in Russland? „Mir gefällt es, mit Bildern zu arbeiten, die sich an der Grenze zu Ideologie befinden“, antwortet Rachuiko. „Die Ideologie keimt schon seit einigen Jahren in Russland. Doch sie ist nicht bis zum Schluss artikuliert. Sie erarbeitet immer wieder eine neue Symbolik.“ Auf der mittleren Bildtafel turnen vor einer Plattenbausiedlung junge Männer in Trainingsanzügen, einer befindet sich in der Polizeigewalt. Die rechte Tafel bildet einen Geistlichen ab, der einem jungen Mann mit nacktem Oberkörper eine Augenbinde anlegt. Schnell ist die Assoziation zu der Rockergruppe die „Nachtwölfe“ da, die sich den Werten „Glaube, Kirche, Heimat“ verpflichtet fühlt.

Diese trivialen Motive scheint das Triptychon auf eine Ebene der Bedeutsamkeit zu heben. Eine gewisse Aura umgibt das Werk. Im Mittelalter war dieses Bildformat dem Sakralen vorbehalten. In der Moderne schließlich wiederbelebt, in zeitgenössischen Ausstellungen ein Dauergast. Künstler greifen auf dieses Sonderformat zurück, wenn es um große politische oder private Erschütterungen und Ausnahmezustände geht, sagt Kunsthistorikerin Marion Ackermann in einem Interview zum Kunstmagazin „Art“.

„Kunst ist für mich ein Mittel der Kommunikation“

Auch bei Rachuiko finden sich diese Momente wieder. Seine Bilder entstehen vor dem Hintergrund des Informationsüberflusses. Er scrolle sich durch das News-Feed auf der Suche nach Inspiration. Ein Klick, eine Assoziation. Und obwohl die Bilder farbenfroh wirken, zieht das Sujet sie ins Düstere. „Alles verliert seinen Sinn, wenn man Nachrichten in einer großen Menge konsumiert. Krieg und Krisen. Ich werde dabei frustriert und pessimistisch. Gleichzeitig frage ich mich wie ein Masochist, wie lange wird dieser Albtraum dauern, in dem wir leben“, sagt Ratschuiko und schaut dabei nachdenklich sein Werk an.

Man kommt nicht umhin, seine Bilder vor diesem Hintergrund politisch zu lesen. Oder dürfen sie am Ende nur eine ästhetische Reflexion sein? „Es ist schwierig in Russland zu bleiben, ohne eine politische Meinung zu haben. In meiner Kunst kommt sie aber nicht wirklich zur Aussprache.“ So stehe am Anfang die künstlerische Metapher, erst dann folgt der Text im Dialog mit dem Publikum. „Kunst ist für mich ein Mittel der Kommunikation. Ich möchte mit meinen Werken niemanden manipulieren.“ Die Deutung des Bildes lässt viele Interpretationen zu. Seine Bilder sind als Denkanstöße zu verstehen, deshalb findet man unter fast keinem Gemälde Titel. Sie sind keine Rebusse, die man lösen muss, um an die Message zu gelangen.

Vom Realismus zum Surrealismus

Für die Ewigkeit: Pasmur Rachuiko signiert sein Werk. /Foto: Katharina Lindt

Am deutlichsten kommt dieses freie Spiel in den Bildern vor, die in das Surrealistische kippen. Wenn Tiere oder Skelette mit seinen Protagonisten magisch eine Verbindung eingehen und damit groteske Momente schaffen. „Ich arbeite mit dem symbolischen Raum des zeitgenössischen Russland. Wie sich Bedeutungen darin wandeln und wie sie von den Medien aufgegriffen werden“, sagt der junge Mann so elaboriert, als habe er am Ende doch ein Skript, dem er folgt, wenn er seine Bilder malt.

Vielleicht ist es aber auch seinem kunsthistorischen und geschichtswissenschaftlichen Studium an der Staatlichen Universität in St. Petersburg geschuldet, dass er sich mit der Materie auskennt. Anders als seine Künstlerkollegen ist Ratschuiko ein Dilettant im herkömmlichen Sinne. Er brachte sich das künstlerische Handwerk selbst bei. Ging in Petersburger Künstlerkreisen ein und aus, um den Eingang ins Galeriewesen zu finden. „Ich habe eine lange Zeit Komplexe gehabt, dass ich keinen institutionellen Background habe. Der ist aber am Anfang wichtig, um als Künstler in der Kunstwelt Fuß zu fassen“, betrachtet er rückblickend seinen Werdegang.

Die Wirtschaftskrisen haben diese Situation nicht einfacher gemacht, als es mit dem Verkauf der Bilder nur schleppend voranging. Stabilität, sowohl privat als auch beruflich, habe ihm vor allem der Rückzug in die Natur geben, um aus dem „Konsumkreislauf und dem Narrativ, das die Gesellschaft diktiert, auszubrechen“, wie er sagt. Er habe Gräser, Beeren und Insekten gefunden, die er fortan in seiner Ernährung integrierte. Daraus sind öffentliche Performances entstanden, wenn er mit Städtern auf die Suche nach Löwenzahn und Co. geht. „Das hat mein Leben bereichert.“

Katharina Lindt 

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