Ein Glücksritter vom Lande

Die nächste Folge unserer Reihe „Meister und Magnete“: Chefkoch Karl Damegger oder wie ein österreichisches Landei in Russland wirklich alles erreichte.

Wie ein österreichischer Koch in Russland wirklich alles erreichte

Familie Damegger in ihrer neuen Idylle in Moskau.

Familie Damegger in ihrer neuen Idylle in Moskau / Privat

Meister und Magnete

Russland ist ja riesig und Moskau ist der mit Abstand größte Schmelztiegel unseres Kontinents, ein Magnet für Menschen aller Couleur, mit ungewöhnlichen Talenten, mit erstaunlicher Schaffenskraft. Manche bringen es nach oben, manche bleiben unten. Die meisten mittendrin. Unser Autor Frank Ebbecke stellt sie hier vor. Heute: Karl Damegger, Chefkoch eines Moskauer Luxushotels.

 

Ein ganz herziges Büberl, der kleine Karl. In wirklich kleinen Verhältnissen aufgewachsen, in einer kleinen Gemeinde, in einem kleinen Land. Im österreichischen Feldkirchen, umgeben von malerischen Seen und sanft gewellter Kärntner Berglandschaft. Sein Vater Erich ein handfester Maurer, seine Mutter Magdalena eine rechtschaffende Hausfrau. Er in der Mitte zwischen zwei Schwestern. Des Winters, wenn Maurer ihre rührigen Hände oft ruhen lassen müssen, werkelte sein Vater liebend gern am Herd. Das schmeckte Sohn Karl. Koch, genau das wollte er nach der Hauptschule werden. Denn wegen „zwei linker Hände“ erschien ihm schon mit 14 das Erlernen eines Broterwerbs als Bauarbeiter wenig aussichtsreich. Dass die Glückssterne Karl Damegger aber dann mal ins russische Riesenreich geleiten würden, nein, das war ihm wahrhaftig nicht vorgezeichnet.

Nach Lehr- und Wanderjahren in durchweg hochklassigen Hotels und Restaurants, aber immer noch in „Sichtweite“ von Feldkirchen, im Vorarlberg, Tirol und im Kleinstaat Liechtenstein, kam im November 2001 der große Moment. Er war 26 und folgte seinem damaligen, landesweit anerkannten Chef. Nach Moskau. Dort hatte einer der Oligarchen, unter den damaligen Eignern eines global führenden Nickelförderers aus Norilsk, die Suche nach dem besten Koch von Österreich in Auftrag gegeben. Das mitleidige Belächeln von Kollegen, Freunden und so manchem dörflichen Nachbarn über den exotischen Ortswechsel gefror, als Karls monatlicher Gehaltssprung um das fast Dreifache, 14-mal jährlich, durchsickerte. Und die damit verbundenen neuen Lebensumstände. Gearbeitet und gewohnt wurde nahe der Hauptstadt in schönster Umgebung, einer Art „Country Club“, nur der Firmenelite, ihren Familien und Geschäftspartnern zugänglich. Manchmal waren 200 bis 300 Leute gleichzeitig zu Besuch. Mit Tennishallen, Swimming Pools und selbst einem Sessellift für Skifahrer einen bescheiden hohen Hügel hinauf. Am Wochenende kam dann regelmäßig eine besonders attraktive Busladung von Gästen raus aufs Land. Modelverdächtige Schönheiten, „für jeden etwas“, grinst Damegger, wenn auch natürlich nicht für Bedienstete wie ihn. Die Bosse wurden auch in den Küchen verschiedener Bürositze des Großunternehmens im Zentrum Moskaus exklusiv bekocht. Und selbst auf dem Feriensitz des Oligarchen in Sochi. Da mussten dann all die professionellen Küchenutensilien, die gewünschten Speisen und Getränke hingekarrt werden, meist per Linienflug mit bis zu 1000 Kilogramm Übergepäck. Halt ganz so wie es sich fürs Luxus- und Lotterleben der Superreichen gehört.

Das Abenteuer war nach vielen spannenden Jahren Ende 2010 schließlich vorbei. Selbst der reichlich vermögende Dienstherr aus der neurussischen Oberliga sah sich wegen der seit 2008 weltweit schwelenden Lehmann-Krise nun doch zu einigen Sparmaßnahmen gezwungen. Dameggers Chef ging mit Familie zurück ins Österreichische. Er selbst blieb. Als stellvertretender Küchenchef unter einem befreundeten Landsmann im noblen Marriott Royal Aurora Hotel in Moskau. Dort ist er inzwischen als „Executive Chef“ in der Topmanagement-Riege einer gerühmten 5-Sterne-Herberge angekommen.

Es war einmal, irgendwo in Kärnten: Karl der Kleine / privat

Es war einmal, irgendwo in Kärnten: Karl der Kleine / privat

Seine eher bescheidene Körpergröße macht er durch seine wieselflinke Laufgeschwindigkeit allemal wett. Er ist immer einfach überall in der Weitläufigkeit seiner Arbeitsstelle. Trotz seiner strahlend hellblauen Augen, ist er keinesfalls blauäugig. Das kann er sich bei der Verantwortung, die er tagtäglich und oft bis tief in die Nacht stemmt, auch kaum leisten. Da gilt es, einer Koch- und Servicemannschaft von mehr als 50 Einheimischen auf die emsigen Finger zu schauen, für internationale Gaumen geprüft Schmackhaftes aus Küche und Keller zu kredenzen und vor allem den krisenmäßig knappen Kostenrahmen in satte Gewinne umzumünzen. Selbst köcheln, braten und brutzeln tut er heute nur noch selten. Nur, wenn es um die Kreation neuer Menüvorschläge geht. Er lobt die verlässliche Unterstützung seines Teams aus lauter Russen: „Die sind durch nichts zu erschüttern, nach dem Motto ,passt scho‘, obwohl diese Einstellung auch mal in eine gewisse Faulheit umschlagen kann“, sagt er und schmunzelt dabei. Sein Deutsch ist durchaus „hoch“, nur noch wenig Österreichisch eingefärbt. Englisch und Russisch kommen ihm flüssig von den Lippen. Aber viel reden ist sowieso nicht sein Ding. Er ist eher ein Macher.

Freizeit? Wenig. Und dann schlicht und einfach: die Familie – „meine größte Errungenschaft“. Die Pokerabende in Hinterzimmern und die gelegentlichen, durchaus gewerbetypischen Trinkgelage sind längst Vergangenheit. Denn es erschien ihm die Russin Natascha. Eines netten Abends im Dezember 2010 unter Freunden. Jung, hübsch, aber höchstbescheiden. Ein echtes „Landei“. Wie er selbst. Er aus den mitteleuropäischen Bergen, sie aus dem unendlichen sibirischen Flachland, aus einem Kolchosen-Weiler in der Gegend von Bratsk, fast 5000 Kilometer weit weg von Moskau. Auch sie hat in der Hauptstadt ihr Glück gemacht. Erst als Sekretärin, und dann arbeitete sie sich schnell zur Chefin eines Reisebüros hoch. Mit dankbarem Augenaufschlag sagt sie: „Karl ist der beste Mann.“ „Natascha ist die Liebe meines Lebens“, gesteht auch er mit leicht verklärtem Blick: „Wir sind einfach Seelenverwandte.“ Darauf kamen sie schon nach wenigen Monaten und zogen folgerichtig zusammen.

Das hätte er sich im Leben nicht gedacht, dass ihm das je gelingen würde: 13. Oktober 2013 Hochzeit. An einem Ort, der in Hinblick auf das Herkommen beider kaum gegensätzlicher sein könnte: Las Vegas. Nur die zwei allein, weil für die Verwandten die Teilnahme schlicht zu teuer und umständlich gewesen wäre. Unvergesslich. So sollte es wohl sein. Die anschließenden Flittertage in Florida haben dann noch eins draufgesetzt. Gut ein Jahr später wird Sohn Mark geboren. Gerade ist die kleine Familie – soll aber noch größer werden – in eine Edelherberge im Besitz von Gasprom umgezogen. Alles in allem stolze 220 Quadratmeter. Beide hätten in ihren kühnsten Vorstellungen nie an eine solche Luxus-Wohnumgebung gedacht. In diesen Krisenzeiten aber tragbar, zumal Karls Dienstherr ein gutes Scherflein dazu beiträgt. Hier haben Mark, der österreichisch-russische Stammhalter, und ein großer Mischlingshund reichlich Auslauf. Das Tier heißt Lucky, weil es das wirklich sein kann: Die Dameggers haben ihm nämlich als ausgesetztem Welpen ein schönes Zuhause gegeben.

Dameggers Eltern, für die ein Ausflug in die gar nicht so entlegene Hauptstadt Wien noch immer eine „Weltreise“ ist, sind mächtig stolz auf ihren kleinen Karl, der es in der fernen Fremde doch zu etwas gebracht hat. Sowohl menschlich als auch beruflich. Karl ist gerade erst 43, seine Natascha frische 30. Und Söhnchen Mark, im Gesicht schon eine genaue Kopie seines Erzeugers, nicht mal 2. Trotzdem wissen sie schon jetzt, dass sie weder in Karls Heimat Österreich, auf die er stolz ist, obwohl er sie längst hinter sich gelassen hat, noch in Nataschas Heimat Russland, obwohl beide hier ihr Glück gefunden haben, einmal enden wollen. Beide träumen von Klima, Landschaft und Lebensstil im amerikanischen Florida. Genauer gesagt von Orlando. Zur immerwährenden Hochzeitsreise sozusagen.

Frank Ebbecke

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