Tanzen, saufen, prügeln: die Dumskaja-Straße in St. Petersburg

Die Dumskaja ist St. Petersburgs dunkle Seele. Tagsüber fällt der schmale Straßenzug in der Innenstadt kaum auf, nachts wird er zum wüstesten Pflaster der Newa-Metropole und einer abseitigen Sehenswürdigkeit für Ausländer. Hier gibt es billigen Wodka, Stripperinnen, Drogen und Sex. Eine Nacht im Epizentrum des Petersburger Nachtlebens.

Sittengemälde zu fortgeschrittener Stunde: die Dumskaja-Straße. / Alina Pasok

Wo anfangen? Zwölf Bars und Klubs stehen auf diesem ziemlich schäbig wirkenden Fleckchen in Sichtweite des Newskij-Prospekts zur Auswahl, praktisch Tür an Tür. Mein Abend beginnt um 23  Uhr in der Soundbar Banka. Weil mich ein Promoter hineinschleust, spare ich 100 Rubel Eintritt. Den zahlen nur Männer – die Frauenquote soll möglichst hoch gehalten werden. Die Psycho-Musik ist, gelinde gesagt, gewöhnungsbedürftig. Dabei habe ich wirklich nicht die höchsten Ansprüche. Der Typ mit dem Vokuhila-Schnitt neben mir an der Bar ist bereits fix und fertig. Trotzdem gönnt er sich eine neue Runde. „Ich liebe diese Stadt  – aber der Winter ist einfach zu lang“, lallt er in mein Ohr, bevor er in Richtung Herrentoilette torkelt. Ich komme ins Gespräch mit einer Dame, die in der Nacht zuvor aus Moskau angereist ist. „Ich habe Moskaus Schicki-Micki-Klubs satt. Deshalb komme ich seit Jahren immer mal wieder auf die Dumskaja“, sagt sie. „Neben Kontakten, die ich lieber meiden würde, treffe ich auch viele Ausländer.“ Einige Kurze später suche auch ich die Toilette auf, wo mich eine Punkerin mit übler Fahne fragt, ob ich Lust hätte, ihr den Rücken zu waschen. Wie bitte? Das stille Örtchen riecht stark nach Gras. Erst mal eine Raucherpause einlegen.

Die Klubs der Dumskaja sind so eng, dass die Masse selbst bei neun Grad Minus Mitte April vor der Tür feiert. Das öffentliche Nachtverkaufsverbot scheint in den hiesigen Läden nicht zu gelten: Der Trinkfluss darf nicht unterbrochen werden, weder drinnen noch draußen. Ein Mann in einem Pkw reicht drei mit Lachgas gefüllte Ballons an eine lächelnde junge Dame Mitte 20 weiter. „150 Rubel“, antwortet der Verkäufer auf meine Nachfrage. Dafür verspricht er mir einen Lachflash, „den du in keiner der umliegenden Bars findest“. Das ist allerdings zu viel versprochen.

Eine angeheiterte Gruppe diskutiert lebhaft, wohin es weiter gehen soll: „Konjuschennaja“, „Mischka“, „Union“ oder „nach Hause, bevor die Brücken hochklappen“. Es ist kurz vor eins.

Ich stehe schon in der Schlange zum Soul Kitchen, einer Trash-Disko. Einen Dresscode gibt es hier nicht, wie auch anderswo auf dieser Partymeile. Dafür sind „Massenschlägereien und Schießereien keine Ausnahme“, wie mir einer der Türsteher erzählt. Im Juni 2016 lieferten sich mehr als 35 Beteiligte eine legendäre Keilerei  – darunter der dagestanische Profi-Boxer Kamil Mussajew. Drei Jahre zuvor wurden zwei Türsteher des Poison, der Rock`n`Roll-Karaokebar schräg gegenüber von einer Gang erschossen, nachdem sie einen Kaukasier nicht hereinließen. „Neulich habe ich gesehen, wie auf einen Betrunkenen eingeschlagen wurde, der am Boden lag“, sagt der Typ neben mir in der Schlange. „Die Dumskaja-Straße ist unberechenbar – hier passiert immer irgendwas.“

Im Inneren des Soul Kitchen gibt es neben der schlechten Musik, an die ich mich im Laufe des Abends bereits gewöhnt habe, ein Überangebot an schönen Frauen. Die drei, die bis eben neben mir tanzten, werfen sich innerhalb von zehn Minuten dem erstbesten Typen um den Hals, der sie anmacht. Eine andere Dame tanzt mit sich selbst im Spiegel. Angeheizt wird die Atmosphäre auf der Tanzfläche von der Stripperin, die sich auf der Bar räkelt.

„In Europa gibt es eine gewisse Erwartungshaltung beim Ausgehen, es muss etwas passieren. Dann kommt meist die Enttäuschung. Auf der Dumskaja wird einfach gefeiert, als gäbe es kein Morgen“, erklärt mir der Typ an der Bar, der sich als „Ur-Petersburger“ outet. Und das „jede Nacht, zu jeder Jahreszeit und an jedem Wochentag“. Dann bekomme ich den Tipp einer heißen Afterparty im Central Station, einem  Schwulenclub, über den viel getuschelt wird.

Doch der Türsteher ist unerbittlich. „Ohne Angabe von Gründen“ verweigert er mir den Zutritt. Jede Diskussion scheint zwecklos, ich sehe wohl einfach zu fertig aus. Es ist fast fünf Uhr. Die Polizei ist bereits nach Hause, doch die Dumskaja noch immer wach. Viel wacher als tagsüber, wenn die Touristen daran vorbeilaufen und eine schräge Facette von St. Petersburg verpassen.

Christopher Braemer

Und das schreiben russischsprachige Quellen zur Dumskaja-Straße:

http://www.the-village.ru/village/city/city/132283-dumskaya-bary

http://www.sobaka.ru/city/city/19077

http://minakovas.livejournal.com/209875.html

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