Achterbahnfahrt: Russland und seine Pläne für ein eigenes Disneyland

Seit mindestens zehn Jahren wird in Russland mit schöner Regelmäßigkeit der Bau eines „russischen Disneylands“ ausgerufen. Doch dabei blieb es dann auch. Bis heute ist Russland ein Entwicklungsland, was Vergnügungsparks betrifft. Jetzt soll sich das endlich ändern.

Disneyland

Wunderbar: Blick über die St. Petersburger „Insel der Wunder“, einen der wenigen russischen Vergnügungsparks mit zeitgemäßen Attraktionen. / Tino Künzel

Aufregung, so könnte man argumentieren, hat der Russe in seinem Leben schon genug. Was soll ihm also künstlich erzeugter Nervenkitzel in Form von Achterbahnen und ähnlichem Firlefanz? Das würde erklären, warum zum Beispiel Moskau bei adrenalingeschwängerten Attraktionen ein dermaßen klägliches Bild abgibt: Was in den hiesigen Parks lieblos auf nacktem Asphalt abgestellt wurde, ist so atemberaubend wie der gute alte Autoscooter.

In Wirklichkeit sind die Russen bekanntlich immer vorn dabei, wenn es um alle erdenklichen Verrückheiten geht, bei denen schon dem Betrachter das Herz in die Hose rutscht. Auch Fahrgeschäfte können ihnen gar nicht rasant genug sein, glaubt man Erlebnisberichten russischer Besucher von ausländischen Parks. Zudem sind in der jüngeren Vergangenheit  überall in Russland Spaßbäder aus dem Boden geschossen, wo sich die Kundschaft mit großer Lust die Rutschen hinunterstürzt. Warum also herrscht in Sachen Freizeit- und Themenparks so viel Tristesse?

„Park der Wunder“ (Moskau)

An großartigen Plänen hat es nicht gefehlt, allerdings sind sie mindestens ebenso grandios gescheitert. Etwa der „Park der Wunder“ in Moskau, angekündigt als „weltgrößter Freizeitpark für Kinder“. Surab Zereteli, der Haus- und Hofarchitekt des früheren Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow, wollte ihn im Westen der Stadt errichten. 1992 gewann er eine entsprechende Ausschreibung, zwei Jahre später wurden ihm 316 Hektar Grund und Boden überlassen. Nachdem sich dort über viele Jahre nichts tat, Kontrolleure vor Ort stattdessen auf zahlreiche Untermieter, Lager und eine Müllhalde stießen, kündigte die Stadt 2007 den Pachtvertrag. Kurz zuvor hatte Zereteli noch versichert, mit dem Bau werde demnächst begonnen, „schneller, als alle glauben“. Zuletzt war das Territorium als Standort für ein Parlamentszentrum im Gespräch, wo beide Kammern des russischen Parlaments – die Duma und der Föderationsrat – ihren Sitz haben würden. Der Umzug war für 2018 oder 2019 angedacht, auch ein Modell des riesigen Gebäudeensembles existierte bereits. Doch wegen der komplizierten Haushaltslage liegt die Realisierung auf Eis.

„Russland“ (Moskauer Gebiet)

Für den Vergnügungspark „Russland“ südlich von Moskau wurde sogar schon ein Eintrittspreis gemeldet: Für 500 Rubel sollten Besucher quasi in einer Miniaturausgabe ihres Landes wandeln dürfen – ungefähr ab 2016. Über die beste Konzeption entschied eine Jury, die kaum repräsentativer hätte ausfallen können: mit Vizepremier Igor Schuwalow und Verteidigungsminister Sergej Schojgu an der Spitze. Den Zuschlag erhielt die renommierte Consultinggesellschaft Cushman & Wakefield. Demnach sollten auf einem Gelände von 1000 Hektar – das Zehnfache des Europaparks Rust – neben einer Vielzahl von Attraktionen auch Museen, Landschaftsparks, Hotels und Sporteinrichtungen entstehen. Sogar eine eigene Bahnanbindung vom Pawelezker Bahnhof und ein Zubringer vom Flughafen Domodedowo waren vorgesehen. Im Frühjahr vorigen Jahres gab die Regierung der Moskauer Oblast bekannt, wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation müssten die Baufristen „korrigiert“ werden. Ob das Projekt überhaupt noch in Angriff genommen wird, steht in den Sternen.

„Insel der Wunder“ (St. Petersburg)

Disneyland

Hui! Achterbahn auf der „Insel der Wunder“. / Tino Künzel

Der bisweilen einzige russische Freizeitpark von internationalem Format befindet sich in St. Petersburg auf der Krestowskij-Insel, ganz in der Nähe des neuen Fußballstadions für die WM 2018. „Diwo ostrow“, so die Originalbezeichnung, wurde 2003 eröffnet, die malerisch im Grünen verteilten Fahrgeschäfte sind jedoch neueren Datums und würden jedem amerikanischen Six-Flags-Park gut zu Gesicht stehen. Die „Insel der Wunder“ behauptet auf ihrer Webseite sogar, einige gehörten zu den Top-10-Attraktionen auf der Welt, wer auch immer das gemessen haben will. Doch für Gänsehaut ist tatsächlich gesorgt, wenn man etwa bei einer Attraktion namens „Booster“ wie an gigantischen Windmühlenflügeln durch die Luft geschleudert wird, sich mit der „Raketa“ in himmlischen Höhen überschlägt oder eine Berg- und Talfahrt in einer der drei Achterbahnen hinlegt. Beim Thrill-Faktor hängt „Diwo ostrow“ den bekannteren „Sotschi Park“ um Längen ab.

 „Insel der Träume“ (Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg)

Disneyland

Hinter dieser Einzäunung wird in Moskau an der „Insel der Träume“ gebaut. / Tino Künzel

Moskau soll bis 2018 sein „Disneyland“ bekommen. Die Bauarbeiten auf einem knapp 200 Hektar großen Grundstück an der Moskwa laufen, die Tiefgarage soll schon fertig sein. Clou des Projektes ist ein 25 Hektar großer und über 30  Meter hoher Indoor-Freizeitpark, der ganzjährig betrieben werden kann. Bürgermeister Sergej Sobjanin, der die Baustelle im Sommer besuchte, freut sich schon auf „zehn Millionen Gäste im Jahr“, wie er vor Journalisten sagte. Blickfang soll ein Schneewittchen-Schloss sein wie in den Disneyparks, was der Kooperation der russischen Regions Group und des amerikanischen DreamWorks-Studios geschuldet ist. Für das russische Kolorit sollen einheimische Märchen- und Filmhelden sorgen. Auch das Zeichentrick-Studio Sojusmultfilm darf auf das Gelände ziehen.

Die Location liegt verkehrsgünstig genau gegenüber der erst Anfang des Jahres eröffneten Metrostation Technopark. Analoge Themenparks mit derselben Bezeichnung „Insel der Träume“ plant die Regions Group auch in St. Petersburg und Jekaterinburg.

„Zauberhafte Welt“ (Moskauer Gebiet)

Vier Milliarden US-Dollar wollen Firmen von „Weltruf“, wie es heißt, in einen Vergnügungspark an der Grenze der Moskauer und der Kalugaer Oblast investieren. Initiator des Projekts ist ein Unternehmen namens MIG 2000 aus Beverly Hills, geführt von Russen. Der Gouverneur von Kaluga, Anatolij Artamonow, ersuchte unlängst Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen um seinen Segen. Der Park „Zauberhafte Welt Russlands“ solle ausschließlich mit privaten Mitteln finanziert werden. Die Investoren wären jedoch gern vor möglichen Unwägbarkeiten gefeit. Putin versicherte Artamonow seiner Rückendeckung.

Realisiert werden soll das ehrgeizige Vorhaben innerhalb der nächsten fünf Jahre. Das Konzept sieht einen Park für die ganze Familie vor, der sich in zehn Themenbereiche unterteilt. Eines der Highlights soll Russlands größtes Erlebnisbad mit einer Kapazität von bis zu 40.000 Besuchern pro Tag sein.

Es scheint also Bewegung in die Branche zu kommen. Die Aussichten sind durchaus vielversprechend, doch nach den negativen Erfahrungen der Vergangenheit ist zumindest ein Rest an Skepsis angebracht: Schon zu viele Projekte sind über kurz oder lang wieder in der Schublade verschwunden.

Tino Künzel

Newsletter

    Wir bitten um Ihre E-Mail: