Die Geiseln von Beslan: 13 Jahre danach

Dieser Terroranschlag war der furchtbarste von allen, die Russland im Zuge der Tschetschenienkriege erschütterte: Ein ganze Schule wurde 2004 im nordkaukasischen Beslan von Separatisten besetzt, samt der Schüler, Lehrer und Eltern, die der Schulanfangsfeier beigewohnt hatten. Einige der überlebenden Opfer, inzwischen junge Frauen, sind nun die Gesichter einer lebensbejahenden Ausstellung im Moskauer Jüdischen Museum. Fünf von ihnen haben der MDZ erzählt, wie die Marter von Beslan für sie endete und was sie heute machen.

BeslanSie haben einen der schlimmsten Terroranschläge überlebt, den man sich überhaupt vorstellen kann. Damals waren sie noch Kinder, heute sind sie erwachsen. Jetzt hat das Jüdische Museum und Toleranzzentrum in Moskau ihnen eine Ausstellung unter dem Titel „Im Namen des Lebens“ gewidmet. Die Fotografin Alissa Gokojewa por­trätiert 20 ehemalige Schülerinnen der Schule Nummer 1 in Beslan, wo Terroristen im September 2004 rund 1100 Kinder und Erwachsene bei der Feier zum Schulanfang in ihre Gewalt brachten und drei Tage als Geiseln festhielten, bevor Spezialeinheiten sich zum Sturm entschlossen. 334 Menschen kamen ums Leben, 186 davon waren Kinder.

Die Kleinstadt Beslan in Nord­ossetien, 20 Autominuten von Wladikawkas entfernt, war bis dahin den wenigsten Ortsunkundigen ein Begriff. Durch den Terroranschlag wurde sie zu einem Inbegriff für menschliches Leid, vor allem das Leid der Mütter. Das halbzerstörte Schulgebäude erinnert bis heute an die Tragödie. Bei Gedenkveranstaltungen legen die Menschen nicht nur Blumen dort ab, sondern auch Wasserflaschen. Die Terroristen hinderten ihre Geiseln am Essen und Trinken.

Viele überlebende Geiseln konnten nach ihrer Befreiung nicht laufen, sondern mussten getragen werden. / RIA Novosti

Alissa Gokojewa hatte 2004 gerade die Schule beendet. Sie war 17 Jahre alt und nahm ein Studium an der Wirtschaftsfakultät der Nordossetischen Staatlichen Universität auf. Als sie von den Ereignissen in Beslan erfuhr, versetzte sie sich unwillkürlich in die Lage der eingeschlossenen Schüler. Später lernte sie einige von denen kennen, die davongekommen waren, man freundete sich an. Gokojewa veranstaltete Wohltätigkeits­aktionen zu Gunsten ihrer medizinischen Behandlung und Rehabilitation. In diesem Jahr nun hat sie einige der Überlebenden, inzwischen junge Frauen, für die Ausstellung im Jüdischen Museum fotografiert. Die Betroffenen ließen sich auf die Idee ein, um zu zeigen, dass das Leben weitergeht.

Sie habe die damaligen Geiseln nicht als gesichtslose Menge zeigen, sondern die einzelnen Personen in den Vordergrund rücken wollen, sagt die Fotografin. „Ich bin so froh, dass sie zu schönen, interessanten, fröhlichen Menschen herangewachsen sind. Sie haben sich gern fotografieren lassen, weil sie finden, dass sie es den toten Angehörigen und Mitschülern schuldig sind, die Erinnerung an sie wach zu halten. Viele sind überzeugt, dass sie ihr Leben nicht nur für sich leben müssen, sondern für ihre Mütter, Brüder, Schwestern.“

Jelena Gajtowa

Mit fünf der Porträtierten hat sich die MDZ in Verbindung gesetzt, um Näheres über sie zu erfahren. Jelena Gajtowa verlor in Beslan ihren Bruder, den Elftklässler Alan. Er half dabei, Kinder aus der durch Explosionen verwüsteten Schule zu evakuieren, konnte sich jedoch selbst nicht retten, weil er in einen Schusswechsel geriet. Jelena hat die Moskauer Staatsuniversität für Management absolviert und sucht gerade Arbeit. Vor einem Monat hat sie geheiratet und lebt mit ihrem Mann in Moskau. „Mein Leben ist ein Vermächtnis an die Toten. Solange wir uns an sie erinnern, sind sie unter uns. Ich möchte Kinder zur Welt bringen und in ihren Gesichtern das Lächeln meines Bruders wiederfinden“, sagt sie.

Jelena Wasagowa

Jelena Wasagowa musste aus dem Schulgebäude getragen werden. Sie hatte eine Gehirnerschütterung. Zudem hatten Bombensplitter ihren Dünndarm, Arme und Beine durchbohrt. Die Rehabilitation dauerte lange. Von den Verletzungen sind zahlreiche Narben zurückgeblieben. Jelena hat eine wirtschaftliche Ausbildung hinter sich, heute arbeitet sie in einem Mobilfunkgeschäft. Jedes Jahr am 1. September begibt sie sich nach Moskau auf den Nikolo-Archangelskoje-Friedhof, wo Angehörige von Sondereinheiten beerdigt sind, die an der Geiselbefreiung beteiligt waren.

Viktoria Murtasowa

Die heutige Juristin Viktoria Murtasowa hat Beslan praktisch unverletzt überstanden, doch ihre Schwester wurde zum Invaliden. „Wir sind in der Lage, ihr Arzneimittel zu kaufen, aber andere können das nicht. Manchmal habe ich den Eindruck, dass der Staat uns vergessen hat“, meint Viktoria.

Isolda Kokajewa

Isolda Kokajewa geriet an jenem Schulanfangstag 2004 zusammen mit ihren Brüdern und ihrer Schwester in Geiselhaft. Alle haben überlebt, Isolda mit Schuss- und Splitterverletzungen. Heute studiert sie Medizin, will Kardiologin werden. Sie nimmt aktiv an Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Opfer von Beslan teil und sagt: „Ich finde es sehr wichtig, dass wir nicht vergessen, was damals geschah. Die Vergangenheit kann ich nicht ändern, aber ich möchte, dass die Zukunft eine andere ist. Von Kindesbeinen an wollte ich Ärztin werden, den Menschen helfen, ihren Schmerz teilen. Ich glaube, das ist meine Mission – zu helfen.“

Diana Alikowa

Gemeinsam mit Diana Alikowa war unter den Geiseln von Beslan auch ihre Mutter. Die hat die Tochter dann auch mit ihrem Körper beschützt, als von allen Seiten geschossen wurde. Diana studiert heute Jura mit Schwerpunkt Straftaten. „Ich möchte Verbrechen bekämpfen, gefährlichen und schwierigen Fällen nachgehen“, erklärt sie.

Die Ausstellung läuft noch bis 30. September. Anschließend sind die Fotos auf der Seite des Jüdischen Museums zu sehen:
www.jewish-museum.ru.

Ljubawa Winokurowa

Die Porträtfotos auf dieser Seite wurden uns von der Fotografin freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

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