Die Chance ihres Lebens

Die Eishockey-WM dieses Jahr gab einen Vorgeschmack, in zwei Jahren soll bei der Fußball-WM richtig aufgetischt werden: Russland lädt die Welt zu sich ein, vor allem natürlich nach Moskau. Doch wie steht es um den Russlandtourismus in unseren Krisenzeiten? Ein Überblick.

Von Georgia Lummert und Michael Lechner

Der Charme einer Metropole: Sightseeing-Bus in Moskau / RIA Novosti

Der Charme einer Metropole: Sightseeing-Bus in Moskau / RIA Novosti

Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin erwartet für dieses Jahr insgesamt 17,5 Millionen Touristen, eine halbe Million mehr als noch 2015. Zum Vergleich: Deutschlands Besuchermagnet Berlin kam zuletzt auf rund 12 Millionen Besucher. Sobjanin ließ freilich offen, welchen Begriff von Tourismus er bei seiner Prognose von Ende April zugrunde legt.

Dass die russische Hauptstadt tatsächlich im Kommen ist, zeigen die Hotelbuchungen für den anstehenden Sommer. Das Reiseportal Travel.ru hat ermittelt, dass Moskau zumindest bei russischen Touristen das beliebteste Ziel für einen Urlaub im eigenen Land ist. Während diese Gruppe wächst, geht die Zahl ausländischer Touristen in der Hauptstadt zurück. 2015 waren es im Vergleich zum Vorjahr 50 000 weniger, gab vor kurzem der Leiter des Moskauer Tourismusamtes Wladimir Tschernikow bekannt.

„Moskau ist eine wunderbare Metropole, die jedem Kulturtouristen nur entgegenkommen kann. Ein pulsierendes Leben, schöne Architektur, interessantes Nachtleben und gutes Essen. Es ist alles vorhanden“, sagt Frank Schaal, Professor für Tourismusmanagement an der EBC Hochschule in Berlin. Dass Touristen aus dem Ausland dennoch zögerten, die russische Hauptstadt zu besuchen, läge unter anderem an der angespannten politischen Situation zwischen den EU-Staaten und Moskau. Diese würde zusammen mit den Wirtschaftssanktionen für eine allgemeine Verunsicherung bei den Touristen sorgen. „Das führt letztlich dazu, dass man sich mit solchen Reisedestinationen dann eher zurückhält“, glaubt Schaal.

Problematisch ist für den Tourismusexperten auch die Visapflicht. Diese würde viele Leute abschrecken, weil sie zusätzlichen Aufwand bedeutet, den Europäer in EU-Metropolen nicht haben. Zumindest die Probleme mit der Visabeschaffung werden für die zur WM 2018 anreisenden Fans entfallen. Für sie soll die Eintrittskarte zu einem der Spiele ausreichen, um nach Russland einreisen zu dürfen, wie Präsident Putin bereits angekündigt hat.

Ein klarer Vorteil russischer Städte sind die drastisch gesunkenen Preise in Folge der Rubelabwertung gegenüber Dollar und Euro. Während Moskau laut dem Beratungsunternehmen Mercer im Jahr 2008 noch auf dem ersten Platz der teuersten Städte der Welt lag, ist es 2015 auf Platz 50 gerutscht. Der schwache Rubel kommt insbesondere dem Inlandstourismus zu Gute. Mehr als 50 Millionen Russen machten 2015 Urlaub im eigenen Land, 18 Prozent mehr als 2014, meldete die föderale Tourismusagentur Rosturism.

Dass westliche Touristen noch nicht in Massen nach Russland strömen, liegt auch am mangelnden Marketing, glaubt Alla Belikowa, Leiterin der Marketing- und Vertriebsagentur Russland der Deutschen Zentrale für Tourismus e.V. Dem soll mit Tourismusbüros im Ausland entgegengewirkt werden. In Berlin eröffnete im letzten Jahr die weltweit dritte Filiale von „VisitRussia“. Für Belikowa kam dieser Schritt nicht überraschend. „Die Deutschen sind nach den Chinesen die größte Touristengruppe in Russland, sie sind ein Reisevolk und offen für Neues“, sagt sie. Das belegen auch OECD-Statistiken. Mit 635 000 Touristen lagen die Deutschen 2014 auf Platz zwei, hinter den Chinesen mit 1,1 Millionen. Insgesamt kamen vor zwei Jahren etwa 32,4 Millionen Besucher nach Russland. In Deutschland waren es im Vergleichszeitraum knapp 33 Millionen. Allerdings werden bei solchen Zahlen für Russland stillschweigend die mindestens gut 20 Millionen Besucher aus den Nachbarländern hinzugezählt, die vermutlich keinem klassischen Tourismus nachgehen.

Trotzdem nimmt die Bedeutung der Tourismus- und Reiseindustrie für die russische Wirtschaft bereits jetzt zu. Sie hatte laut dem World Travel & Tourism Council (WTTC) im Jahr 2014 einen gesamtwirtschaftlichen Effekt von 114 Milliarden US-Dollar, was 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Außerdem hängen direkt oder mittelbar knapp vier Millionen Arbeitsplätze an dieser Branche, immerhin 5,6 Prozent der Gesamtbeschäftigung.

Ein weiterer Aspekt, bei dem Moskau noch Nachholbedarf hat, ist der Abbau von sprachlichen Barrieren. Englisch sei für den internationalen Tourismus eine Notwendigkeit, erklärt Frank Schaal. Er rechnet damit, dass die Moskauer Stadtregierung zumindest beim Ausbau der touristischen Infrastruktur bis zur WM 2018 noch einiges tun wird. Das muss die Metropole auch: Von englischsprachigen Aushängen in der Metro bis hin zu ausreichenden Übernachtungsmöglichkeiten für die Millionen Fußballfans ist noch viel zu tun.
Auch Belikowa sieht in der Fußball-WM eine „Once in a Lifetime“-Chance für Moskau: „Es bleibt zu hoffen, dass das Potenzial, das so ein sportliches Großereignis für die langfristige Entwicklung bietet, genutzt wird.“

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