Russlands Problemzar: Wie schrecklich war Iwan?

Die russische Stadt Orjol wurde vor 450 Jahren von Zar Iwan gegründet. Mitte Oktober hat sie dem berühmt-berüchtigten Herrscher deshalb ein Denkmal gewidmet, über das seitdem heftig gestritten wird. Die MDZ sprach mit dem Osteuropa-Historiker Jan Kusber von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz über den Zaren und das Bild, das wir von ihm haben. Eine frühe Form von westlicher Propaganda hat dazu durchaus beigetragen.

Herr Kusber, ist es eine gute Idee, Russlands erstem Zaren ein Denkmal zu setzen?

Iwan Grosnyj …

Der „Schreckliche“.

Ich benutze den russischen Beinamen, der ist treffender. (Grosnyj steht im Russischen für „drohend“, „streng“, „Ehrfurcht gebietend“ – d. Red.) Iwan Grosnyj halte ich nicht für denkmalwürdig. Er ist sicher einer der russischen Herrscher, die das Land verändert haben. Aber die Gesamtbilanz ist so dunkel, dass er sich nicht als Identifikationsfigur eignet.

Iwan

Gesamtbilanz zu dunkel: Für Historiker Kusber verträgt sich das Reiterstandbild von Zar Iwan in Orjol nicht mit dessen historischer Leistung. / RIA Novosti

Was hat er für ein Russland hinterlassen?

Eines, das ökonomisch am Boden lag, als er 1584 gestorben ist. Seine Politik und seine Kriege haben den Weg in die Zeit der Wirren geöffnet. Das Land war in Auflösung begriffen. Dafür sehe ich zwei Gründe: Die Terrorherrschaft und die Verfolgung von Gegnern haben auch die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Schritte zur Verknechtung der Bauern, die dann später in deren Leibeigenschaft mündeten, haben Russland in seiner Entwicklung stark behindert.

Iwan werden Verbrechen zur Last gelegt, die mit menschlichem Verstand kaum zu erfassen sind. Wusste er, was er tat?

Die Spekulationen um seine geistige Gesundheit lassen sich heute schwer verifizieren. Es spricht aber viel dafür, dass sein Geisteszustand spätestens seit der Zeit der Opritschnina zerrüttet war. Auffallend ist sein Jähzorn in Kombination mit tiefster Zerknirschtheit. In dieser Verfassung hat er ja auch seinen Sohn erschlagen.

Es gibt heute Stimmen in Russland, die sagen, diese unbewiesene Behauptung hätten ausländische Zeitzeugen in Umlauf gebracht.

Nein, das ist durchaus historisch belegbar. Allerdings ist die Chroniküberlieferung relativ knapp. Darin heißt es, dass der Zar seinen Sohn in einem Handgemenge getötet hat. Man wird also nicht sagen können, dass das von Westlern erfunden wurde. Westliche Quellen machen daraus jedoch ein Symbol der Tyrannei. Die Stilisierung von Iwan Grosnyj zum Allergrausamsten ist tatsächlich im Westen erfolgt.

Wie das?

1558 brach der Zar einen Krieg gegen den Ordensritterstaat Altlivland vom Zaun, angeblich wegen einer nicht geleisteten Tributzahlung.  Das wuchs sich alsbald zu einem internationalen Konflikt unter Beteiligung von Polen-Litauen und Schweden aus. Um den Kriegsgegner zu diskreditieren, druckten die Livländer Flugblätter, auf denen in Wort und Bild Propaganda gegen Moskau gemacht wurde. Diese Form der publizistischen Auseinandersetzung  war nichts Neues, im konkreten Fall aber sehr einseitig, denn die Russen kannten so etwas gar nicht.

Damit  wurde das Bild von Iwan als dem „Schrecklichen“ geprägt?

Ja, mit Versatzstücken, die bereits existierten und sich in der Konfrontation mit dem Osmanischen Reich herausgebildet hatten. Was dem Sultan nachgesagt worden war, wurde jetzt auf Iwan Grosnyj übertragen. Eine Wanderung der Negativassoziationen, die dann über die Livländer und die Deutschbalten auch nach Deutschland gelangt sind. Im 18. Jahrhundert erlebten sie eine Reinkarnation, als man Peter den Großen und nachfolgende Zaren als „rationale“ Herrscher aufgebaut  und sie dem „irrationalen“ Iwan Grosnyj gegenübergestellt hat.

Wie stand eigentlich das russische Volk zu seinem Zaren?

Schwer zu sagen. Iwan und seine Berater haben alles daran gesetzt, um die Chroniken zu kontrollieren. Ein etwas differenzierteres Bild, das man von der Volksmeinung zu haben meint, resultiert aus ethnografischen Expeditionen des 19.  Jahrhunderts. Dabei wurden Volkslieder gesammelt. Und in denen taucht der Zar nicht in einem negativen Sinne auf. Im Gegenteil: Er ist derjenige, der die bösen Gutsherren zur Rechenschaft zieht und gerecht, wenn auch streng bestraft.

In Russland wird Iwan gern zugutegehalten, dass er die Khanate Kasan und Astrachan – Hinterlassenschaften der Goldenen Horde  – eroberte.

Damit hat er in nennenswertem Maße die Grundlage für das multiethnische, multireligiöse russische Imperium gelegt. Aus der Perspektive des aufstrebenden Moskaus kann man das durchaus als Erfolg bezeichnen. Dazu haben auch erste Reformen in der Armee beigetragen. Aber Iwans Politik gegenüber dem Khanat der Krim war schon weniger erfolgreich. Schließlich tauchten die Krimtataren 1572 sogar vor Moskau auf und brannten Vorstädte nieder. Den breiten Zugang zur Ostsee hat Iwan auch nicht erreicht, Reformen seiner Anfangszeit später wieder kassiert. Das ist also alles sehr ambivalent.

Das Interview führte Tino Künzel.

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