Das Büro im Wohnzimmer: Freiberuflichkeit wird in Russland immer beliebter

Freiberuflichkeit hatte lange keinen guten Ruf in Russland und galt als Verzweiflungstat. Mittlerweile arbeiten immer mehr Menschen ohne festen Arbeitgeber. Freelance ist ein Wachstumsmarkt. Wenn auch mit Risiken.

Freelance

Gute Gründe, Freelancer zu werden: freie Wahl des Arbeitsplatzes, Auftraggeber weltweit. /Foto: xphere

Der russische Arbeitsmarkt gilt ungeachtet aller wirtschaftlichen Rückschläge der vergangenen Jahre als ungewöhnlich stabil. Wer Arbeit in einem Unternehmen sucht, der findet in der Regel eine Stelle. Vor diesem Hintergrund wurde freiberufliche Tätigkeit lange Zeit als Schicksal für verzweifelte Arbeitslose, als Nebenverdienst oder gar als Schwarzarbeit betrachtet.

Mittlerweile ändert sich diese Wahrnehmung. Freies Arbeiten wird immer beliebter. Seit etwa zehn Jahren wächst die Zahl der freiberuflich tätigen Russen. Allein zwischen den Jahren 2016 und 2017 stieg der Anteil der Freelancer unter allen Erwerbstätigen von zehn auf achtzehn Prozent. Das gab das Analysezentrum NAFI kürzlich bekannt. Im Jahr 2014 waren lediglich zwei Prozent aller Berufstätigen Freelancer.

Der Markt wächst rasant

Freiberufler erwirtschaften auch immer mehr Geld. Laut einer Studie des Online-Bezahldienstes PayPal überstieg der Umsatz aus freiberuflicher Arbeit im Jahr 2017 den des Vorjahres um das 1,5-Fache. Russland gehört mittlerweile weltweit zu den Top-Ten-Märkten für Freiberufler.

„Freelance ist ein wichtiges Betätigungsfeld für Russen. Über die Hälfte gibt an, dass sie in Zukunft mehr Aufträge erwartet“, erklärte Olga Lonschakowa von Pay-Pal Russland gegenüber der Wirtschaftszeitung „Wedomosti“.

Auch für russische Firmen sind Freelancer attraktiv. Das Verhältnis zu ihnen wandelt sich allmählich. Interessant sind sie jedoch vor allem, weil ihr Einsatz Kosten spart. Freelancer werden nur für ein bestimmtes Projekt angeworben. Durch die Heimarbeit spart sich der Auftraggeber die Büromiete und weitere Nebenkosten wie Versicherungszahlungen.

20 Prozent der Firmen in Russland können sich zukünftig eine intensivere Zusammenarbeit mit Freelancern vorstellen, fand der Personaldienstleister „Penny Lane Personnel“ in einer Untersuchung heraus. 

Die einheimischen Unternehmen bekommen jedoch Konkurrenz aus dem Ausland. In der globalisierten Welt sei es dem Auftraggeber nicht mehr wichtig, wo sich ein Web-Designer oder Illustrator befindet, erklärte Lonschakowa.

Ausländische Auftraggeber sind heiß begehrt

In der Tat arbeiten viele Russen gern mit Ausländern zusammen. Ein ausländischer Auftraggeber macht sich gut im Lebenslauf und im Portfolio. In den meisten Fällen werden Partner aus den USA und Großbritannien gesucht, also aus Ländern, in denen Freelance bereits weit verbreitet ist.

Attraktiv sind die Auftraggeber jenseits der russischen Grenzen vor allem wegen der besseren Bezahlung. Laut PayPal verdiente ein hauptberuflicher Freelancer, dessen Kunden nicht aus Russland stammen, im vergangenen Jahr mit monatlich sechs Aufträgen durchschnittlich fast 61000 Rubel, ungefähr 860 Euro. Waren die Auftraggeber Russen, so belief sich das Einkommen auf gut 53000 Rubel, etwa 750 Euro. Dafür waren allerdings sieben Aufträge im Monat notwendig.

Die Auftraggeber aus dem Ausland sind deshalb heiß begehrt, die Konkurrenz ist entsprechend groß. Doch die Zusammenarbeit mit ausländischen Kunden birgt auch Gefahren. Russische Freiberufler, die ihr Geld überwiegend im Ausland verdienen, sind im Schnitt bereits etwas älter, viele sprechen nicht gut genug Englisch oder eine andere Fremdsprache. So kommt es durchaus zu Missverständnissen bei Idee und Ausführung der Projekte.

Freelance bedeutet auch Risiko

Für die Freelancer selbst hat ihre Tätigkeit viele Vorteile, aber auch einige Nachteile. Die Freiberufler schätzen, dass sie sich ihre Arbeitszeit frei einteilen können und dass die üblichen Büroregeln für sie nicht gelten. 

Zu den größten Nachteilen gehören ein unregelmäßiges Einkommen, die starke Konkurrenz und ein hohes Maß an Selbstdisziplin, das benötigt wird.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Internetbörsen, auf denen Freelancer ihre Arbeitskraft anbieten und um Kunden buhlen. Diese Möglichkeit wird vor allem von denen genutzt, die im Ausland nach möglichen Auftraggebern suchen. Zwar funktionieren solche Online-Börsen auch in Russland inzwischen ganz gut, dennoch werden hier die Aufträge noch sehr oft über persönliche Kontakte vermittelt.

Daniel Säwert

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