„Bravissimo!” oder nicht? Dali trifft Goya in Moskau

Was wäre gewesen, wenn sich Francisco de Goya und Salvador Dali einmal lebend getroffen hätten? Der aktuellen Ausstellung „Los Caprichos” im Puschkin-Museum nach zu urteilen, hätten sie sicher viel zu lachen gehabt.

„Los Caprichos“: Goya und Dali im Puschkin-Museum Moskau / pl

Sechs Jahre lang, von 1793 bis 1799, arbeitete Francisco Goya an seiner Grafik-Serie „Los Caprichos”. 80 Blätter entstanden, die getreu dem fantasievollen und scheinbar grenzenlosen Genre der Capricci nicht nur Alltagsprotagonisten, sondern auch Fabelwesen, Menschenähnliche mit Tierköpfen und ähnlich ausgefallene „Helden” zeigen. Ob Mutter und Tochter, Lehrer und Schüler, Geliebte und Verehrer, Ehemann und Frau – egal in welcher Form – immer wieder geht es Goya um zwischenmenschliche Absurditäten. Betrug, Verrat und Lächerlichkeit; Abhängigkeit, Autorität und Geheimnisse: Kunsthistoriker schreiben seinem Werk eine tiefgreifende Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft zu, eine Kritik allerdings an ganz menschlichen „Vergehen” wie Flatterhaftigkeit, Verstellung und Selbstbetrug.

„Los Caprichos“: Auch Goyas „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ ist dabei

Für das ausgehende 18. Jahrhundert ein mutiger Ansatz. Des Künstlers Heimatland Spanien durchlebte zu der Zeit eine schwere Krise. Gleichzeitig erlebte der Autor selbst eine zugleich glückliche als auch tragische Liebesgeschichte. Die grazilen Gesichtszüge in den Grafiken scheinen denn auch von Schmerz verzerrt zu sein. Tiefe Furchen ziehen sich über das Antlitz der Protagonisten, als wären sie dunkle Wesen, die nur auf den Vollmond warteten, um auszubrechen. Gleichzeitig lachen sie mit grober Gehässigkeit über die zeitgenössischen Zustände in Politik und Sozialem. Was den Künstler letztlich teuer zu stehen kommen sollte: Denn die Inquisition wurde auf ihn und seine sozialkritischen Blättchen aufmerksam. Am 19. Februar 1799 kamen die „Caprichos” auf den Markt, vier Tage später wurden sie schon wieder eingezogen. 27 von insgesamt 300 Exemplaren sind in dieser Zeit verkauft worden. Goya musste sich vor König Karl für die Werke entschuldigen und ihm sämtliche Druckbögen, Handschriften sowie unverkauften Drucke übergeben. Zu seinen Lebzeiten wurden sie dann auch nie mehr wieder gedruckt.

„Vielleicht ist der Schüler schlauer als der Lehrer?” – „Ja!”

Knapp 180 Jahre später ist Goyas Druckserie dann wiederbelebt worden: von dem Surrealisten Salvador Dali. Geplant war das Remake für eine Ausstellung des Goya-Museums im französischen Castre 1977, übrigens wieder zu einer wilden Zeit in Spanien: Der regierende Diktator Franco ließ in einigen kulturellen Bereichen die Leinen locker, spanische Kunstschaffende kehrten in die Heimat zurück. Und sie schafften viel Neues, viel Innovatives, und sie brachten ein Europa, eine Welt wieder mit zurück ins Land, von dem Spanien jahrzehntelang abgeschottet war. Dali, der nach Jahren im Exil in den USA, 1950 in seine Heimat zurückkehrt, ist das beste Beispiel.

„Los Caprichos“: Goyas Grafiken und Dalis Interpretationen / pl

Und so erhalten Goyas „Los Caprichos” in Dalis Interpretation nicht nur grelle Farben, sondern auch neue mystische Fabel-Protagonisten, für Dali typische Symbolelemente und spitzfindige Antwort-Bildunterschriften. Zu Goyas Bildunterschrift „Bravissimo!” schreibt Dali „Nein”. „Verzeih es Gott, es war nur die Mutter” unter einer fragwürdigen Zweier-Situation schreibt Dali „…und auch der Vater”. Und so entsteht ein Dialog bissiger Kommentare.

Außerdem finden sich in den neuen Grafiken sowohl die „fließenden Uhren” wieder als auch überzeichnete Tierwesen. Dynamische Linien für Ausrufe und Richtungen bringen die Bilder optisch in Bewegung. Und in wenigstens einem Punkt – wenn dies nicht der Humor ist, mit dem beide Künstler gesellschaftliche Unschönheiten darstellen wollen – treffen sich Goya und Dali auch inhaltlich: Beiden haben es die menschlichen Unberechenbarkeiten angetan. Das Paradoxe im Handeln der Personen, der Betrug, die Intrigen, das „mehr Scheinen als Sein”.

Und doch scheinen die „Caprichos” ihren Meistern kein Glück zu bringen, auch wenn in Dalis Spanien die Inquisition schon keine mehr Rolle spielte. Vier Jahre nach Veröffentlichung der Dali’schen Interpretation leidet der Künstler unter Parkinson mit heftigem Tremor. Seine Frau stirbt bald darauf, Dali verweigert die Nahrungsaufnahme und dehydriert, musst noch jahrelang über eine Sonde ernährt werden. 1989 stirbt er dann an Herzversagen.

„Vielleicht ist der Schüler ja schlauer” als der Lehrer, schrieb Goya unter eine seiner Grafiken.  Dali gab sich einverstanden: „Ja!”. Ob er das allerdings auf sein Verhältnis zu Goya bezogen haben könnte, ist unklar, kann jedoch nach einem Ausstellungsbesuch von jedem Besucher individuell eingeschätzt werden.

 

Von Peggy Lohse

 

Bis 12. März 2017

Puschkin-Museum

Ul. Wolchonka 12

Metro: Kropotkinskaja

(495) 697 95 78

www.arts-museum.ru

 

 

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