Buchstabenliebe: Aus dem Laut geboren

Die kyrillische Schrift stellt manch einem Russischlernenden Stolpersteine auf. Auch für russische Grafikdesigner ist sie manchmal eine Herausforderung. Dabei wurde die junge Schrift am Vorbild des lateinischen Alphabets reformiert. Ein Festival lädt ein, sich mit ihr auseinanderzusetzen.

Die Stars der Typografie: Das Berliner Studio „Cyan“ / Foto: Typomania.

Um eine Haaresbreite hätte es in Russland das lateinische Alphabet gegeben. Peter der Große spielte im Zuge der Schriftreform im 17. Jahrhundert mit dem Gedanken, die lateinische Schrift einzuführen. „Er war ein mutiger Visionär, der Bärte abschneiden ließ und eine neue Kleiderordnung einführte“, sagt Alexander Wasin, Grafikdesigner und Initiator sowie Kurator des Festivals „Typomania“. Und weil der Wechsel zur lateinischen Schrift vielleicht nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die orthodoxe Kirche in Aufruhr versetzte hätte, entschied sich der Monarch, der die westliche Kultur liebte, insbesondere Deutschland und die Niederlande, die schwere und verschnörkelte altkirchenslawische Schrift nach dem Vorbild der Antiqua, so bezeichnet man Schriftarten mit gerundeten Bögen, die auf dem lateinischen Alphabet basieren, zu reformieren.

Um zu verstehen, was Peter der Große für die russische Sprache geleistet hat, muss man ­ausholen. Und zwar ins 9. Jahrhundert. Zwei Mönche aus Saloniki, Kyrill und Method, hatten die Mission, ein Alphabet für die slawischen Sprachen zu entwickeln. Denn in Folge der Christianisierung trat ein Problem auf: Das griechische Alphabet war für diese Sprachen ungeeignet. Sie ließen sich vom lateinischen, griechischen und kaukasischen Schriftsystem inspirieren. Es entstand das glagolitische Alphabet. Im 12. Jahrhundert setzte sich ein neues Alphabet durch, das ein Schüler von Kyrill und Method entwarf. Dieses hielt sich bis zur Epoche Peter des Großen.

Jung, albern, formbar

Die Kyrilliza, die man heute kennt, ist im Vergleich zur lateinischen Schrift recht jung. Diese formte sich bereits seit dem 8. Jh. v. Chr. „Wie bei der Darwin’schen Evolutionstheorie wurde ihr Organismus immer besser und besser. Es starben die unwichtigen Teile ab“, erklärt Wasin, der zu diesem Thema eine komplette Vorlesung halten könnte. Das lateinische Alphabet sehe aus der Sicht eines Typographen harmonisch aus, weil sie runde, gerade und dreieckige Buchstaben habe. In der kyrillischen Schrift existieren dagegen sehr viele ähnliche Buchstaben, die vertikal verlaufen. Schlanke Buchstaben wie das „I“ fehlen komplett. „Das ist schade, denn das typografische Material ist nicht vielfältig“, urteilt Wasin. Russische Designer hegen daher eine Leidenschaft für die Antiqua, um sie, wo es nur geht, zu benutzen.

Seit 2012 lockt das Typografie-Festival „Typomania“ in Moskau Liebhaber der Buchstaben aus der ganzen Welt an. / Foto: Typomania.

Doch das „merkwürdige und albern aussehende Alphabet“ hat auch seine Stärken. „Die kyrillische Schrift ist noch nicht zu Ende ausgearbeitet. Wir Designer können auf sie Einfluss nehmen.“ Nach einer „toten Phase“ der Typografie, die mit den 30er Jahren einsetzte und mit den 90er Jahren endete, entwickelt sie sich heute rasant. Davon zeugt das Typografie-Festival „Typomania“, das nun zum 6. Mal in Moskau stattgefunden hat. Es ist das einzige Ereignis in Russland, welches sich ausschließlich dieser Kunstform widmet. „Typomania – das ist Verrücktsein nach Schrift, die Liebe zu Buchstaben. Wenn der Designer etwas bewältigen möchte, nur mit Zuhilfenahme von Buchstaben, dann ist es ein Kunstflug“, schwärmt Wasin.

Buchstabe oder Ornament?

Und tatsächlich, beim Lesen können wir leicht vergessen, dass Buchstaben mehr als nur eine Funktion besitzen. Auf dem Plakat können sie die Artisten sein. Dann fällt uns die Unterscheidung schwer, sehen wir einen Buchstaben oder bereits ein Ornament? Es geht um Beobachtung, Forschung, Studium und Kommunikation. Auch zwischen den Ländern. Zwischen Berlin und Moskau. Typografie – das sind auch Worte und Laute, aus denen Buchstaben geboren werden.

Wer dieses Kunststück am besten beherrscht, ist das Berliner Studio „CYAN“, deren Arbeiten das Herzstück der Ausstellung bildeten. Dahinter verstecken sich Detlef Fiedler und seine Ehefrau Daniela Haufe. „Die Hälfte der typografischen Kultur nehmen sie ein“, lacht Wasin. Neben den deutschen Meistern hingen auch Arbeiten koreanischer, israelischer, französischer, portugiesischer und schweizer Typografen an den Wänden. Unten dann die Schüler. Das sei eine Wechselwirkung, beide müssen voneinander lernen. „Die Meister dürfen nicht rosten“, sagt Wasin. Wie bei einer Bluttransfusion.

Von Katharina Lindt 

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