Bernsteinzimmer trifft Heimwerker

Vielleicht haben Deutsche und Russen nie etwas Schöneres gemeinsam erschaffen als das Bernsteinzimmer. Der bloße Name dieser Koproduktion elektrisiert bis heute die Menschen, auch und vor allem in Deutschland. Bei Ausstellungen ist ein interessiertes Publikum garantiert, so wie gegenwärtig in Dresden.

Für die St. Petersburger Kunsthistorikerin Tatjana Sergejewa ist das Bernsteinzimmer so etwas wie ein Lebensthema. Über nichts scheint sie lieber zu sprechen, gern auch im Ausland. Nur wenn sie für Freunde und Bekannte einen Besuch im Katharinenpalast organisieren soll, dann hört der Spaß auf. Die ehemalige Sommerresidenz der russischen Zaren vor den Toren St.  Petersburgs zu besichtigen, ist ein Kraftakt. Erst wartet man ewig in der Schlange, dann muss im Gegenteil alles ganz schnell gehen. Selbst im Bernsteinzimmer, dem größten Juwel des Palastes, beträgt die Verweil­dauer im Schnitt nur vier Minuten.

Aber vor solchen Anfragen ist Tatjana Sergejewa gerade sicher. Ihre Arbeit hat sie nach Dresden geführt. In den Hallen der „Zeitenströmung“ läuft noch bis Ende Juli die Ausstellung „Faszina­tion und Mythos Bernsteinzimmer“, deren Kuratorin sie ist.

Das originale Bernsteinzimmer in einer Farbaufnahme von 1936. / Wikipedia

Das originale Bernsteinzimmer in einer Farbaufnahme von 1936. / Wikipedia

Sergejewa mag die Deutschen. Die männlichen Besucher seien immer furchtbar an den technischen Details des Bernsteinzimmers interessiert: „Die sind eben geborene Heimwerker, viele haben goldene Hände, deshalb fragen sie so viel.“

Und erst die Frauen, „freundlich und ein bisschen sentimental“! Eine Besucherin hat ihr mal ein Bernsteinarmband aus Vorkriegszeiten geschenkt, das sie bei der Ausstellung trägt. Eingraviert ist die Signatur „Staatliche Bernsteinmanufaktur Königsberg“.

Die Deutschen hätten ein inniges Verhältnis zum Bernsteinzimmer, so Sergejewa. Es sei eine „Brücke zwischen unseren Völkern“, den Deutschen und den Russen, die so viel verbinde und die „wie füreinander geschaffen“ seien. „Leider hat der Krieg uns entzweit.“

Bei ihrer Ausstellung kann Sergejewa auf den Moment warten, an dem jemand auf sie zukommt und ihr mitteilt, er wisse etwas über den Verbleib des Bernsteinzimmers. „Die Menschen in Deutschland werden ja allgemein sehr alt. Deshalb begegne ich immer wieder Leuten, die gesehen haben wollen, wie das Bernsteinzimmer am Kriegsende in Kisten verstaut wurde. Danach verliert sich die Spur.“

Ihren Anfang nahm die wechselvolle Geschichte des Bernsteinzimmers in Königsberg. Der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. ließ sich hier 1701 zum preußischen König Friedrich I. krönen. Man schenkte ihm auch einige Bernsteinarbeiten  – in der Gegend, seit dem Zweiten Weltkrieg russisch, lagern bis heute die größten Bernsteinvorräte der Welt  – und traf damit seinen Geschmack. Friedrich hatte eine Schwäche für Glamour, er ließ Berlin zu einer barocken Residenzstadt aus­bauen, wollte am liebsten Versailles in den Schatten stellen. Er war es auch, der das Bernsteinzimmer in Auftrag gab, wohl zum Wohlgefallen seiner Frau Sophie Charlotte im später nach ihr benannten Schloss Charlottenburg. Doch nach dem Tode von Sophie ließ Friedrich ein Kabinett im Berliner Stadtschloss mit dem Bernstein verkleiden. Das Zimmer war halbfertig, als der König 1713 starb. Sein Sohn Friedrich Wilhelm  I. bekräftigte ein Bündnis mit Russland im Großen Nordischen Krieg gegen Schweden, indem er dem russischen Zaren Peter dem Großen eine Jacht und das Bernsteinzimmer schenkte. Der Zar revanchierte sich mit 55  Soldaten.

Auf Befehl von Zarin Elisabeth, Peters Tochter, wurde das Bernsteinzimmer 1755 von Hofarchitekt Francesco Bartolomeo Rastrelli im neuen Katharinenpalast verbaut. Der dafür ausgewählte Raum war  mit 96 Quadratmetern jedoch fast doppelt so groß wie das Kabinett in Berlin. Deshalb fügte Rastrelli Spiegelpilaster, vergoldete Schnitze­reien und vier florentische Mosaike ein. Das Bernsteinzimmer erhielt damit sein bekanntes Aussehen.

Das „achte Weltwunder“, wie es oft genannt wurde, ging in den Wirren des letzten Krieges verloren (siehe Zeitleiste). Unersetzlich, wie es war, wurde es dennoch ersetzt – sozusagen durch ein „neuntes Weltwunder“. Zum 300. Stadtgeburtstag von St. Petersburg wurde 2003 im Katharinenpalast eine Nachbildung eröffnet.

 

 

Der „Hausmeister“ des Bernsteinzimmers: Man braucht eine Engelsgeduld

Bernsteinschnitzer Sergej Kaminskij, 64, arbeitet seit 30  Jahren in der Bernsteinwerkstatt Zarskoje Selo. Er hat an der Nachbildung des Bernsteinzimmers mitgewirkt und ist heute für dessen Instandhaltung zuständig.

 

Herr Kaminskij, was tut man als „Hausmeister“ des Bernsteinzimmers?

Einmal die Woche mache ich einen Rundgang und schaue nach, ob es vielleicht kleinere Schäden gibt. Alle drei Jahre ist dann eine große Inventur dran. Ich trage die alte Bienenwachsschicht ab und eine neue auf, poliere die Steine. Damit habe ich einen bis anderthalb Monate zu tun.

Was ist Bernstein für ein Werkstoff?

Ein sehr launischer. Etwas härter als Gips, etwas weicher als Elfenbein. Wenn man sich beim Schleifen die kleinste Ungenauigkeit leistet, fällt das sofort ins Auge. Man braucht eine Engelsgeduld. Für viele Kollegen aus unserer Branche ist das nichts.

Woran arbeiten Sie in der Bernsteinwerkstatt seit der Wiederherstellung des Bernsteinzimmers?

Die Präsidialadministration lässt bei uns immer wieder Geschenke für ausländische Staatsführer anfertigen. Wir sind aber auch offen für private Aufträge. Einzige Bedingung: Den Bernstein besorgen Sie bitte selbst! Die Preise sind in den letzten Jahren ins Unermessliche gestiegen. Je nach Größe und Qualität kann ein Kilo heutzutage 10 000 Euro kosten. (Anm. d. Red.: Im Jahr 2000, als das Bernsteinzimmer nachgebildet wurde, lag der Kilopreis bei 1000 D-Mark.)

Bei Ausstellungen kann man Ihnen häufig über die Schulter schauen. Was wollen die Leute am häufigsten wissen?

Viele haben ihren Bernsteinschmuck dabei, der trübe geworden ist, wollen Hilfe. Gelegentlich muss ich sie enttäuschen, weil auch ich da machtlos bin. Bernstein oxidiert und er altert. Ohne regelmäßige Pflege verliert er seine Sonnigkeit. Deshalb mein Rat an alle Frauen, die Bernstein tragen: Wenn Sie nach Hause kommen, dann legen Sie den Schmuck in eine Schatulle, so haben Sie länger Freude daran. Für das verschollene Bernsteinzimmer heißt das, mit den Worten unseres Direktors Boris Igdalow: Es hat nur noch einen historischen, keinen materiellen oder künstlerischen Wert mehr. Taucht es tatsächlich irgendwann wieder auf, dann wird es in einem bedauernswerten Zustand sein.

 

Das Interview führte Tino Künzel.

 

 

Chronik einer Odyssee

 

1941

Am 18. September, weniger als drei Monate nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, rückt die Wehrmacht auf Leningrad vor und nimmt den Vorort Puschkin ein, das ehemalige Zarskoje Selo mit seinem Katharinenpalast. Mitte Oktober wird das Bernsteinzimmer binnen 36 Stunden demontiert und nach Ostpreußen geschafft. Alfred Rohde, Direktor der Königsberger Kunstsammlungen, lässt das Meisterwerk im Obergeschoss des Schlosses ausstellen.

1944

Nach einem Brand wird das Bernsteinzimmer im Frühsommer vorsorglich erneut in Kisten verpackt und übersteht so mehrere britische Luftangriffe, die das Königsberger Schloss in eine Ruine verwandeln. Am Jahresende begibt sich Rohde nach Sachsen und Thüringen, er will die Kunstschätze in Sicherheit bringen. Offenbar findet er geeignete Lagerstätten. Doch für den geordneten Abtransport ist es bereits zu spät.

1945

Großoffensive der Roten Armee, die Königsberg im Januar einkreist und damit auch die Verbindungen nach Westen kappt. Im April fällt die Stadt an die Sowjets. Alfred Rohde stirbt im darauffolgenden Winter an Hungertyphus. Das Geheimnis, wo sich zu diesem Zeitpunkt die Kisten mit dem Bernsteinzimmer befinden, nimmt er mit ins Grab.

1949

Die Sowjetunion setzt eine Sonderkommission ein, die sich mit der Suche des Bernsteinzimmers beschäftigen soll. Sie wird 1983 aufgelöst, ohne ihre Bestimmung erfüllt zu haben.

1968

Leonid Breschnew ordnet die Sprengung der Reste des Königsberger Schlosses an. Der Schloss­turm war bereits 1953 abgerissen worden. Die erhalten gebliebenen Kellergewölbe unter dem Schloss beflügeln jedoch bis heute die Fantasie von Jägern des verlorenen Schatzes.

1979

Die Sowjetregierung beschließt, das Bernsteinzimmer im Katharinenpalast originalgetreu wieder aufzubauen. Dafür wird eigens die Bernsteinwerkstatt Zarskoje Selo gegründet. Ihre Meister können sich nur an 86 Fotografien und einigen erhaltenen Einzelstücken orientieren, müssen alte Techniken erst wiedererlernen. Doch Kenner sagen, die 2003 fertiggestellte Kopie sei schöner und strahlender als das Original.

 

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