Als der Zar noch kein Heiliger war

Zar Nikolaus II. wurde von der orthodoxen Kirchen heiliggesprochen. Deswegen hätte manch Gläubiger den Film über die voreheliche Affäre des Monarchen mit einer Tänzerin gerne verbieten lassen. Auch dass der deutsche Schauspieler Lars Eidinger die Hauptrolle spielt, stieß auf Kritik.

Zar Nikolaus II

Zar Nikolaus II., gemalt von Earnest Lipgart. /Foto: Wikimedia

Noch hat niemand den Film „Matilda“ gesehen. Trotzdem sind sich einige Gläubige in Russland jetzt schon sicher: Dass der spätere Zar Nikolaus II. eine Affäre mit einer Tänzerin hatte, gehört nicht ins Kino. Das würde ihre religiösen Gefühle verletzen. Noch vor der Premiere im Herbst diskutiert das Land über „Matilda“.

Wovon handelt der Film?

Regisseur Alexej Utschitel erzählt in „Matilda“ von der Affäre zwischen dem späteren Zaren Nikolaus II. (Lars Eidinger) und der Primaballerina des St. Petersburger Mariinski-Theaters Matilda Kschessinskaja (Michalina Olszańska). Der Film spielt vor der Thronbesteigung des letzten russischen Zaren, der später von der orthodoxen Kirche heiliggesprochen wurde.

Wie lautet der Vorwurf?

Bisher gibt es nur Trailer im Internet zu sehen. Aber die reichten aus, dass sich einige Gläubige in ihren religiösen Gefühlen verletzt sahen. Kritiker stören sich an der Besetzung. Den deutschen Schauspieler Eidinger beschimpften sie als „Porno-Darsteller“. Vor allem aber geht es grundsätzlich um die Tatsache, dass eine Affäre mit einer Tänzerin thematisiert wird. Dazu zählen auch Sex- und Nacktszenen. Das gehört sich aus Sicht der Kläger nicht für einen orthodoxen Heiligen, den sie wegen seiner späteren Ermordung als Märtyrer verehren. Die Kritiker fordern, dass den Film zu verbieten.

Was ist die historische Wahrheit?

Es ranken sich viele Mythen um das Verhältnis zwischen dem letzten Zaren und der Primaballerina. Historiker wie Alexej Kulegin, Mitarbeiter im Museum der politischen Geschichte Russlands in St. Petersburg und ehemalige Residenz der Primaballerina, verweisen auf die Tagebücher der Tänzerin, die Details über die Beziehung verraten. So beschreibt sie das erste Treffen nach der Abschlussaufführung in der Schauspielschule am 20. März 1890: „Ich kann mich nicht erinnern, über was wir gesprochen haben, aber ich verliebte mich sofort in den Thronfolger. So wie jetzt, sehe ich seine blauen Augen mit diesem gutmütigen Ausdruck vor mir.“

Die Primaballerina Matilda Kschessinskaja auf einer Fotopostkarte. /Foto: Wikimedia

Auch im Tagebuch von Nikolaus findet sich ein Vermerk über die Ballettaufführung. Nur fehlen dort intime Details. Allerdings sei der spätere Zar dafür bekannt gewesen, recht neutral Tagebuch zu führen, berichtet Kulegin. Nicht zuletzt bezeugen Geschenke des Thronfolgers, die heute das Museum der politischen Geschichte Russlands beherbergt, dass die beiden mehr als ein platonisches Verhältnis hatten. Auch Memoiren anderer Zeitgenossen lassen Raum für Spekulationen, wie weit die Beziehung ging.

Sicher ist aber, dass die Romanze zwischen Matilda und Nikolaus mit der Krönung und der Hochzeit endete, bekräftigt Kulegin. Auch Utschitel macht in seinem Film an dieser Stelle einen Punkt, wie er in zahlreichen Interviews betont. Es werde kein Liebesdreieck gezeigt.

Was darf die Kunst?

Utschitel hat seinen Film über die kurze Liebesaffäre zwischen Nikolaus und Matilda Kschessinskaja nie als Dokumentation postuliert. Es ist ein künstlerischer Film, der sich die Freiheit nimmt, eine Episode aus dem Leben des letzten Zaren vor seiner Ehe zu erzählen. Vor einer „moralischen Zensur“ warnen 50 zeitgenössische Regisseure in einem offenen Brief. Sie sprechen sich für die Freiheit der Kunst aus und für das Recht zu zeigen: Selbst ein Heiliger war auch mal ein Mensch.

Corinna Anton und Katharina Lindt

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